„Fressen Ficken Fernsehen“: Aktionskünstler Wolfgang Flatz wird 65
Dornbirn (APA) - Seine künstlerischen Mittel sind Provokation und Autoaggression, sein Medium der Körper, sein Ziel: Hass und Mitgefühl. Der...
Dornbirn (APA) - Seine künstlerischen Mittel sind Provokation und Autoaggression, sein Medium der Körper, sein Ziel: Hass und Mitgefühl. Der österreichische Aktionskünstler und Musiker Wolfgang Flatz wird am Montag (4. September) 65 Jahre alt. Seit seinen radikalen „Demontagen“ der 70er, 80er und 90er-Jahre hat er sich vermehrt der Musik zugewandt.
Sein Diktum „Fressen Ficken Fernsehen“, mit dem er 1981 in Form eines riesigen Transparents die deutsche Sättigungsmentalität in Schlagworte brachte und den erhofften Zores erntete, erfreut sich als Postkartenspruch seit mehr als drei Jahrzehnten ungebrochener Beliebtheit. In seiner Vorarlberger Heimatstadt Dornbirn steht seit 2009 das „Flatzmuseum“. Er selbst lebt seit Mitte der 1970er-Jahre in München. Seit einem schweren Unfall vor fünf Jahren ist er „demütiger“ geworden, wie das einstige Enfant terrible heute sagt.
Dass ein Auto, das ihn 2012 als Fußgänger anfuhr und durch die Luft schleuderte, ihm 33 Knochenbrüche und lebensgefährliche Verletzungen zufügte, ausgerechnet Flatz, wie er sich als Künstlername abkürzt, die Grenzen seiner Physis aufzeigte, gleicht angesichts seiner Körper-Kunstgeschichte eigentlich einer bitteren Ironie. „Jeder weiß, was ein Kuss ist, jeder weiß, was Schmerz ist“, erklärte Flatz in einem Fernsehinterview die Wahl seines Mediums: den Körper selbst.
Er selbst kennt den Schmerz wohl ein Stückchen besser als die meisten: Ob er sich als menschliche Dartscheibe aufstellte, sich in einen Teppich in einem Foyer einnähte, sich als lebendes Glockenpendel kopfüber zwischen zwei Metallplatten im Walzertakt bewusstlos schlug, oder mit der blutigen Stirn so lang den Kopf gegen die Wand drosch, bis das Publikum ihn mit Gewalt daran hinderte - Flatz hat körperliche Aggression, Täterschaft, Voyeurismus und Mitleid zum den zentralen Wahrnehmungsstrategien seiner künstlerischen Praxis gemacht.
Am 4. September 1952 in Dornbirn geboren, machte Flatz zunächst eine Goldschmiedlehre in Feldkirch, ehe er in Graz Metalldesign studierte. 1975 verließ er Österreich Richtung München, studierte Goldschmiedekunst, Malerei und Kunstgeschichte. Schon 1974 sorgte er für Aufsehen, als er bei einer Modenschau in Graz mit demonstrativ verbundenen Augen in der ersten Reihe saß - die erste einer Reihe von Performances, Interventionen oder in seinen Worten „Demontagen“, die ihn unter anderem ins Gefängnis sowie zweimal per Einweisung in die Psychiatrie brachten.
1977 verteilte er bei der documenta Flugblätter, mit der Ankündigung, dass er an der documenta nicht teilnehmen werde. 1992 war er tatsächlich auf der documenta vertreten und bedrängte sein Publikum durch die „Physical Sculptures“, die genau seinem eigenen Körpergewicht entsprachen und zwecks Fortbewegung durch den Raum von den Besuchern weggeschoben werden mussten. Anfang der 90er stellte Flatz „Softkiller“, einen auf Floppy Disk erwerbbaren Computervirus zur Verfügung, daneben begann er sich als Schauspieler, Setdesigner, Bühnenbildner und schließlich vor allem als Musiker und Sänger zu betätigen. 1998 erschien das Album „Physical Sculpture“, 2000 „Wunderkind“ sowie „Love and Violence“ und 2001 „Fleisch“.
Zu „Fleisch“ gab es auch eine „Demontage“ über dem Berliner Prenzlauer Berg, bei dem er eine tote Kuh aus einem Hubschrauber in die Stadt abwarf. Eine Referenz vielleicht an die Aktionisten seines Heimatlandes - unter anderem wurde bei der Aftershowparty „Wiener Blut“ gespielt -, die im deutschen Feuilleton auch weniger als Aufregung, denn als etwas anachronistisches Wiederaufwärmen des alten Zwiespalts von Kunst und Provokation wahrgenommen wurde. 2009 wurde Flatz endgültig museumstauglich: Im Flatzmuseum wird nicht nur das Werk des Künstlers ausgestellt - es hat sich auch als Veranstaltungsort für die Dornbirner Kunst- und Kulturszene etabliert und zeigt regelmäßig Wechselausstellungen.
Im Zentrum stehen Flatz‘ „Physical Sculptures“ - ein Begriff unter dem er nicht nur die Tätowierungen seines Körpers versteht, sondern etwa auch die Spezialanfertigung eines schwarz-rot-goldenen Porsche mit dem Wiener Nummernschild „W-FLATZ 2“. Eine von ihm gestaltete VW Käferhaube mit Hakenkreuz wurde erst heuer aus einer Ausstellung im Gewerkschaftshaus der VW-Stadt Wolfsburg verbannt und stattdessen im Kunstmuseum der Stadt gezeigt. Ein farbintensiver Cadillac Eldorado ist wiederum Teil von Flatz‘ persönlichem Skulpturengarten auf dem Dach seines Hauses in München.
Begleitet wird er stets von einem Hund - damit sei er großgeworden, als Kuhhüter auf der Alm, sagt er. Und kann nicht umhin, selbst aus dem Hund provokante Kunst zu machen: „Hitler“ war der Name einer Deutschen Dogge, die er auch auf Fotos festgehalten hat. „Hitler besichtigt das Schlachtfeld von Stalingrad“ heißt eines davon - tatsächlich aufgenommen am Originalschauplatz. Besonderes spannend, erzählte Flatz einmal dem Radiosender FM4, habe er es damals gefunden, in Münchner Parks herumzustreifen - tätowiert, mit Glatze - und seinen Hund zu rufen. Alle Augen hätten sich sofort auf ihn gerichtet - „und alle sprechen Hass.“
(S E R V I C E - https://www.flatzmuseum.at)