Schwaz

Kurzzeit-WG als letzter Ausweg für viele Kinder

© Fankhauser

Anstatt mit Liebe und Geborgenheit wachsen viele Kinder in Tirol mit Gewalt auf, werden von den Eltern vernachlässigt oder bedroht. Die Kurzzeit-WG neMo in Schwaz soll schnell und unkompliziert helfen.

Von Eva-Maria Fankhauser

Schwaz –Es klingelt an der Tür. Ein Mädchen steht da. Durchnässt vom Regen. Sie zieht die Augenbrauen zusammen, will etwas sagen, doch die Stimme versagt. Sie nimmt ihren Mut zusammen, trotz der Angst im Nacken. Der Angst, allein zu sein. Geschlagen zu werden. Sie schämt sich und erzählt, dass sich keiner um sie kümmert. Niemanden interessiert es, ob sie ihre Hausaufgaben macht. Niemand schert sich darum, dass sie etwas zu essen bekommt. Und doch wird sie ständig bestraft. Das zeigen die blauen Flecken unterm T-Shirt-Ärmel. Ihre Stimme zittert. Der Blick senkt sich. Die Sorgen, etwas falsch zu machen, sind riesig. Aber eines weiß sie genau: Zurück nach Hause geht sie nicht mehr.

Solche Szenarien erleben die Mitarbeiter sozialer Einrichtungen wie dem Turntable in Kufstein, dem Sozialpädagogischen Zentrum St. Martin oder dem Kiz in Innsbruck immer wieder. „Sie stehen plötzlich vor unserer Tür und sagen, dass sie nicht mehr nach Hause wollen, und schildern, wie die Lage daheim aussieht“, sagt Marion Jordan. Sie ist die neue Leiterin der Kurzzeit-WG für Kinder und Jugendliche in belasteten Familiensituationen namens „neMo“ in Schwaz. Immer mehr Kinder würden von selbst oder mit einer Vertrauensperson den direkten Weg gehen und um Hilfe bitten. „Wenn jemand zu uns kommt, kann er uns alles erzählen. Wir vermitteln dem Kind, dass es an einem sicheren Platz angekommen ist, dass es gehört und ernst genommen wird“, erklärt Jordan. Misshandlung, Vernachlässigung, Bedrohungen, Verwahrlosung, Missbrauch oder Drogenprobleme der Eltern sind meist die Auslöser, wa­rum Kinder oder Jugendliche einen Ausweg aus dem familiären Leben suchen.

Dennoch seien viele Kinder loyal gegenüber den Eltern und trauen sich nicht, trotz Misshandlungen um Hilfe zu bitten, weiß Silvia Rass-Schell, Leiterin der Kinder- und Jugendhilfe des Landes. „Die Kurzzeit-WG in St. Martin ist ein Ort, wo Kinder Abstand zu den Problemen innerhalb der Familie bekommen, das Erlebte verarbeiten und sich neu orientieren können“, sagt LR Christine Baur. Aufgenommen werden Kinder aus ganz Tirol im Alter von sechs bis 14 Jahren. Insgesamt bietet neMo Platz für acht Kinder, wovon zwei Plätze für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge bis 14 Jahren bereitgestellt werden. „Bis zu zwölf Wochen bleiben die Kinder und Jugendlichen bei uns, bis sich die Situation daheim wieder entspannt bzw. für sie eine dauerhafte Unterbringung in einer Pflegefamilie oder in einer anderen Wohngemeinschaft gefunden wird“, sagt Georg Kiechl, Direktor des Sozialpädagogischen Zentrums St. Martin. Mit den Kindern kann aber auch die Mutter oder der Vater ins neMo einziehen. Es sei wichtig zu sehen, wie das Zusammenleben funktioniere.

BM Hans Lintner freut es, dass im Sozialpädagogischen Zentrum St. Martin viele Leute Liebe und Zuwendung finden, nun auch vor allem sehr junge. Dennoch weiß er, dass die neue Einrichtung eine Herausforderung für die Schulen darstellt. Auch wenn die Kinder nur für rund drei Monate in neMo untergebracht werden, dürfe die schulische Betreuung nicht fehlen. Das sei kein Leichtes, aber man gebe sich Mühe.

Nach der Sanierung im Vorjahr habe man sich seitens der Kinder- und Jugendhilfe die Räumlichkeiten für ein solches Projekt freigehalten. Zwischenzeitlich wurden unbegleitete, minderjährige Flüchtlinge dort untergebracht – die TT berichtete. „Die Räume wollten wir nach der Sanierung für eine schnelle Umsetzung vorbehalten“, sagt Rass-Schell. Die Kriseneinrichtung öffnet ab Montag ihre Pforten. Erste Anmeldungen gibt es noch keine.

Der Leiter des Kiz in Innsbruck freut sich über die neue Einrichtung in Schwaz. Das Kiz feiert heuer 25-jähriges Bestehen und in Zuge dessen haben sich Leiter Karl-Heinz Stark und sein Team in den Regionen umgehört. „Wir waren u. a. auch in Zell und in allen Regionen hieß es: Es braucht vor Ort etwas, wo die Jugendlichen direkt Hilfe erhalten können, ohne aus ihrem gewohnten Umfeld gerissen zu werden. Da braucht es mehr Möglichkeiten“, sagt Stark.

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Angela Dähling

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