Schön vertrackt: „Die Sprache des Regens“ von Roland Schimmelpfennig

Wien (APA) - Reiner Realismus hat ihn noch nie interessiert. Was Roland Schimmelpfennig zum meistgespielten Gegenwartsdramatiker Deutschland...

Wien (APA) - Reiner Realismus hat ihn noch nie interessiert. Was Roland Schimmelpfennig zum meistgespielten Gegenwartsdramatiker Deutschlands gemacht hat, war der spezielle Kick, den er seinen Stücken verpasste: Immer schien es ein Geheimnis zu geben. Nicht immer konnte man ihm auf die Spur kommen. Mit seinem zweiten Roman „Die Sprache des Regens“ setzt er noch eines drauf.

Schon sein im Vorjahr erschienenes, zu Recht hochgelobtes Romandebüt „An einem klaren, eiskalten Januarmorgen zu Beginn des 21. Jahrhunderts“ gehorchte einem raffinierten Bauplan. Eine Vielzahl von Figuren wird mit dem Roten Faden eines durchgehenden Erzählmotivs so lose wie kunstvoll miteinander verknüpft und in eine irritierende, vielfältig schillernde Atmosphäre getaucht. War es in seinem ersten Roman ein Wolf, der durch das verschneite Berlin streunte, so setzt Schimmelpfennig diesmal gleich mehrere immer wieder aufblinkende Leuchtpunkte: eine vor der Küste vorbeiziehende schwimmende Stadt; die tragische Liebesgeschichte zwischen dem König von Reval und Riga und der Königin von Kastilien und Galizien; die Erinnerung an ein altes Kino namens „Tornado“, dessen behördliche Schließung zum Ausgangspunkt einer blutigen Straßenschlacht mit zwei Toten wurde.

Der 49-jährige Autor hat seine Technik der Verschlüsselung und Verschachtelung nochmals weitergetrieben. Und er huldigt gleichzeitig der sprachlichen Verknappung und der ständigen Wiederholung in einem Ausmaß, das ganz bewusst den Lesefluss hemmt. Während ihm einerseits bei dem miteinander verzahnten Geschehen in einer kleinen, nirgends konkret verorteten Küstenstadt glänzend die Etablierung eines magischen, unwirklichen Umfelds gelingt, in dem Geistererscheinungen und -beschwörungen ganz selbstverständlich dazugehören, schiebt er sich andererseits als Erzähler mit rigidem stilistischen Konzept zwischen seine Figuren und seine Leser. Das ist schade, denn es gibt eine Vielzahl von Personen, die Interesse erwecken.

Man macht u.a. Bekanntschaft mit dem ehemaligen Kinobesitzer, der jetzt mit einem Frisiersalon die einstige Funktion als sozialen Treffpunkts der Kleinstadt weiterführt; mit der vormaligen Anwältin und nunmehrigen Lehrerin Maria, die gleich zu Beginn des Buches von der Polizei verhaftet und ohne Angabe von Gründen in Untersuchungshaft gehalten wird; mit ihrem früheren Freund, dem Polizisten Ramiel, dessen Jüngster mit hohem Fieber um sein Leben kämpft; mit Ramiels 15-jährigem Sohn Petja, der nach einem Initiationsritus, einem Sprung von einer Brücke, abgängig ist, und sich allein durch die Wildnis schlägt, um den Schock zu überwinden, den der Selbstmord einer Frau, in die er sich verliebt hatte, verursacht hat.

Man lernt den Ex-Schlagersänger Freddi kennen, den im Alter ordentlich in die Breite gegangenen einstmals „schönsten Mann der Welt“, oder folgt staunend den tranceartigen Ausbrüchen, bei der eine Frau als Medium für rätselhafte Botschaften eines alten Weisen dient. Es sind tausend pulsierende, vibrierende Geschichten, die Schimmelpfennig mit großer, auktorialer Geste mischt und nach Belieben zum Vorschein oder zum Verschwinden bringt.

Und „Die Sprache des Regens“? Die lernt König Vadim von Reval und Riga zu beherrschen, als er in seinem Liebeskummer 90.000 Meilen über die Welt zieht. Dabei lauscht er den herabfallenden Regentropfen. „Wir kommen von weither, rufen sie dann, wenn ihr wüsstet, was wir gesehen haben, und dann berichten die Regentropfen, während sie an den Stämmen der Bäume herunterrinnen aus der fernen Welt, bis sie im Erdreich versickern und ihre Stimmen sich verlieren.“ Was für ein Buch!

(S E R V I C E - Roland Schimmelpfennig: „Die Sprache des Regens“, S. Fischer Verlag, 320 Seiten, 22,70 Euro)