Landestheater

Betriebsunfall am Blocksberg

Eine Pistentour hinein in teuflischen Trubel: Mephistopheles (Andreas Wobig, hinten links) und Faust (Christoph Schlag) feiern Walpurgisnacht.
© TLT/Larl

Mätzchen ohne Maß und Ziel: Landestheater-Intendant Johannes Reitmeier inszenierte Goethes „Faust“ am Großen Haus. Berechtigter Jubel für das Ensemble, verhaltener Applaus für die Regie.

Von Joachim Leitner

Innsbruck –Man möchte ihn wirklich mögen, diesen „Faust“: Das Ensemble bemüht sich redlich, sucht und findet immer wieder Momente anrührender Wahrhaftigkeit. Wenn der alte Doktor (Andreas Wobig) gleich zu Beginn zum Beispiel durchs zugemüllte Studienzimmer schlurft: ein müd’ gewordener Grübler und Grantler, die letale Ladung Speib- und Spülmittel immer griffbereit. Oder, später, wenn man dem jungen Gretchen (Ronja Forcher) dabei zusehen kann, wie ihm Herz und Mund und Augen übergehen – und im Beben seiner Stimme doch drohendes Unheil anklingt. Das ist nicht unbedingt überraschendes, aber grundsolides Spiel, dem es überzeugend um die Sache geht. Auch Christoph Schlag, der zunächst einen ganz unaffektierten – und doch mit durchtrieben gefletschtem Grinsen – Mephistopheles gibt und dann – Achtung: Spoiler – zur Halbzeit etwa mit Wobig die Rollen tauscht, überzeugt.

Allerdings, spätestens mit dem Rollenwechsel – eine Idee, die zuletzt 2012/13 auch im Vorarlberger Landestheater durchgespielt wurde – fangen in Johannes Reitmeiers Inszenierung des Goethe-Klassikers am Großen Haus die Probleme an: In einer bemüht auf zeitgeistige Technoclub-Ästhetik gebürsteten Hexenküche tauschen Titelfigur und Teufelchen den Körper. Ein Moment der Verfremdung, keine Frage. Ein Versuch, die zwei Seelen, die – ach! – in einer Brust wohnen, anschaulich zu machen. Doch letztlich bleibt der Einfall konsequenzlos, ein Mätzchen ohne Maß und Ziel: Faust ist fortan jünger (was das folgenschwere Anbandeln mit Gretchen etwas weniger unappetitlich macht) – und Mephistopheles geht, die Jogginghose ist inzwischen einem Anzug in schmuckem Miami-Vice-Pastell gewichen, in den Supermarkt, um sich das zu holen, was es für die nächste Szene braucht.

Das kann man, so man denn will, als Anspielung auf den Konsumismus unserer Tage deuten. Es lässt sich sogar als zurückhaltend vorgebrachte Kritik daran lesen. Vielleicht aber ist der Einkaufsbummel auch nur notwendiges Zwischenspiel: Spiel auf Zeit, damit hinter den Kulissen das nächste große Tableau vorbereitet werden kann.

Gerade in der zweiten Hälfte wird „Faust“ immer mehr zum aufwändig und in manchen Details durchaus liebevoll ausgestalteten Stationentheater. Für sich genommen funktionieren manche Szenen gut: Marthe (Antje Weiser), hier eine bezaubernd derangierte Schickse, führt einen heruntergewirtschafteten Friseursalon – Mephistopheles wird dort gehörig der Kopf gewaschen. Der „Faust“ als Barber-Shop-Klamotte, das wäre mal was. Bereits im ersten Teil des knapp dreistündigen Abends verlegt Reitmeier die berühmte Szene in Auerbachs Keller an einen eher schlecht beleumundeten Würstelstand, was wohl nur die ausgewiesensten Aktualisierungs-Verweigerer empören dürfte.

Dass am Budel nebst ökonomischer Verwahrlosung (Jan Schreiber, Matthias Tuzar und Kristoffer Nowak) auch die ideologische in Gestalt eines Nazi-Skins (Raphael Kübler) lehnt und von der Würstelfrau (Janine Wegener) Billigbier auftischen lässt, ergibt erstaunlich viel Sinn. Schon Weltliterat Goethe führte durch seine Zecher-Figuren auch die Nationalismen seiner Zeit vor. Man mag zwar „keinen Franzen leiden“, säuft aber dessen Wein.

Andere zentrale Szenen hingegen bleiben reichlich rätselhaft: Vor allem die Walpurgisnacht gerät zusehends zum Betriebsunfall am Blocksberg: Faust und Mephistopheles taumeln in Tourengehermontur in allzu buntes Treiben. Lederhosenzombies? Horrorclowns beim Après-Ski? Hüttengaudi auf Benzedrin? Eine urban-alpine „Rocky Horror Picture Show“? Oder doch nur das beherzte Bemühen, ja nicht langweilig sein zu wollen? Unfreiwillig komisch ist der von schweren Beats aus Kenneth Winklers Soundstube unterlegte Einkehrschwung allemal. Bloß, warum der ganze Zinnober? Wenigstens gelang es einmal mehr, einen gewichtigen Klassiker der Theaterliteratur in Tirol zu verorten: Was Schillers „Räubern“ vor Jahren die bröckelnde Rotunde am Innsbrucker Rennweg war, ist dem „Faust“ die Vorwegnahme der kommenden Pistensaison.

Die Gefahr gewissenloser Entgrenzung mag zu den wesentlichen Themen des „Faust“ gehören, hier aber verkommt der Exzess zum bloßen Schauwert, zur angestrengten Materialschlacht: reich an farbigen Fetzen (Kostüme: Anke Drewes), arm an Gehalt.

Eindrücklicher hingegen löst Reitmeier die Tragödie auf: Gerade Ronja Forcher gelingt als vom mörderischen Missbrauch in den Wahn getriebene Margarethe eine beachtliche Talentprobe. Das Premierenpublikum am Samstagabend im Großen Haus belohnte sie dafür ebenso wie Andreas Wobig und Christoph Schlag mit Bravos.

Für das Leading Team um Intendant Reitmeier fiel der Zuspruch deutlich verhaltener aus. Ihre Interpretation des „Faust“ erinnert – auch hier darf man wohl sagen, unfreiwillig – an die Bücherwand-Tapete, mit der Helfried Lauckner das Bühnenbild ausgekleistert hat: schöner, beinahe überwältigend schöner Schein. Und doch: nicht mehr als Budenzauber.

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