Lagercrantz: „Noch ein Buch, dann ist Schluss“
2013 erhielt David Lagercrantz ein Angebot, das er nicht ablehnen konnte. Seither führt er Stieg Larssons „Millennium“-Serie fort. Band fünf der Reihe ist gerade erschienen. Am Donnerstag präsentiert er ihn in Innsbruck.
Von Joachim Leitner
Innsbruck – Mit Lesungen heimischer Krimigrößen wie Eva Rossmann, Herbert Dutzler und Thomas Raab, dem ersten Träger des neu geschaffenen Österreichischen Krimipreises, wurde am Samstagabend im Innsbrucker Treibhaus das Krimifest Tirol eröffnet. In den kommenden Tagen stehen auch Auftritte internationaler Starautoren auf dem Programm. Der britische Auflagenkönig Simon Beckett liest am kommenden Freitag im Treibhaus. Bereits davor wird der Schwede David Lagercrantz seinen neuen Roman „Verfolgung“ in Innsbruck präsentieren. Dabei handelt es sich um den fünften Teil der vom 2004 verstorbenen Stieg Larsson begonnenen „Millennium“-Serie um Lisbeth Salander. Die TT hat vorab mit Lagercrantz gesprochen.
Was geht einem Autor durch den Kopf, wenn ihm die Fortsetzung einer Romanreihe angeboten wird, die sich weltweit millionenfach verkauft hat?
David Lagercrantz: Das war eine seltsame Geschichte. Ich hatte gerade einen Roman veröffentlicht – und war mir sehr unsicher. Autoren kennen diese etwas schizophrene Situation: Man will als Künstler gelobt werden und ein möglichst großes Publikum erreichen. Das Buch, das ich mit und über Zlatan Ibrahimovic geschrieben habe, war einige Jahre davor ein großer Erfolg gewesen. Ich sprach mit meiner Agentin darüber, dass ich vielleicht dann am besten bin, wenn ich wie ein Schauspieler die Rolle wechseln kann – und aus etwas Bestehendem etwas Neues entwickeln kann. Meine Agentin wurde hellhörig – und wenig später bekam ich einen sehr rätselhaften Anruf.
Man bot Ihnen die Band vier der „Millennium“-Reihe an.
Lagercrantz: Nein. Ich wurde um ein Treffen gebeten. Ich wurde durch die Hintertür in den Keller eines großen Verlagshauses in Stockholm geführt. Erst dort wurde mir die große Frage gestellt.
Und?
Lagercrantz: Ich erbat mir Bedenkzeit – und wusste sofort, dass ich zusagen werde. Ich stand sofort in Flammen.
Waren Sie mit Stieg Larssons Romanen vertraut?
Lagercrantz: Ich wusste, dass es sie gibt. Gelesen hab’ ich sie erst später. Immer und immer wieder.
Die Ankündigung Ihres Engagements löste eine Kontroverse aus. Larssons langjährige Lebensgefährtin warf Ihnen vor, sich mit den Meriten eines anderen zu schmücken.
Lagercrantz: Darum ging es mir nie. Ich sah ein Projekt, das mich als Schriftsteller reizte. Aber das öffentliche Interesse hat mir eine Mordsangst gemacht. Es gab keine Nachrichtensendung ohne mein Gesicht. Und ich wusste, dass die Kritiker ihre Messer wetzen.
Die Reaktionen waren übertrieben?
Lagercrantz: Es ging um ein Buch. Und um einen Typen, der eine Geschichte erzählen wollte. Allerdings weiß ich inzwischen, dass Panik auch ein guter Antrieb ist, sich besonders anzustrengen.
Wie eignet man sich ein Erzähl-Universum an, das ein anderer erfunden hat?
Lagercrantz: Ich habe Larssons Bücher studiert. Ein Jahr lang habe ich nichts anderes gemacht. Ich musste seinen Code knacken: Wie setzt er seine Figuren ein, wann ändert er die Perspektive? Ich wollte nichts kopieren, aber ich musste wissen, wie seine Texte funktionieren – um sie mit meinen Mitteln, in meinem Ton weiterzuerzählen. Geholfen hat mir, dass ich wusste, was ich erzählen will. Die Geschichte meines ersten „Millennium“-Buchs „Verschwörung“ war immer meine, ihr Kernthema habe ich schon vor Jahren als Reporter bearbeitet. Trotzdem war „Verschwörung“ auch ein Buch des Übergangs. Mit „Verfolgung“ bin ich ganz in der Welt, die Larsson geschaffen hat, angekommen. Oder sagen wir es anders: Unsere Welten sind kollidiert und haben eine neue geschaffen.
Auch Larsson war Journalist. Kannten Sie ihn?
Lagercrantz: Leider nicht. Ich habe sein Engagement gegen Rechtsextremismus und Fremdenhass erst nach seinem Tod wirklich zu schätzen gelernt. Inzwischen weiß ich, dass wir eine Zeitlang dasselbe Kaffeehaus besuchten, aber wir haben aneinander vorbeigelebt.
Kritiker haben angemerkt, dass Sie wenig mit Larsson verbindet. Er kam aus der Arbeiter-, Sie aus der Oberschicht.
Lagercrantz: Ich sehe in diesem etwas bemüht konstruierten Spannungsfeld etwas, von dem die Bücher profitieren können. Auch Zlatan Ibrahimovic und ich kommen aus anderen Welten: Er wurde auf der Straße groß, in einem Stadtteil von Malmö, das man das „Balkan-Ghetto“ nannte, ich komme aus einer gutsituierten Intellektuellen-Familie. Vom Fußball hatte ich keine Ahnung. Aber ich habe mich darauf eingelassen, gelernt und vielleicht andere Fragen gestellt, als Zlatan erwartet hat. Deshalb ist „Ich bin Zlatan“ (2011) auch ein etwas anderes Buch geworden.
Mit Ihren „Millennium“-Romanen reihen Sie sich in die lange und enorm erfolgreiche Tradition des skandinavischen Krimis ein.
Lagercrantz: Es ist ein bisschen wie beim Tennis. Als Björn Borg erfolgreich wurde, wurde Tennis in Schweden populär. Der Erfolg schwedischer Krimis führte dazu, dass mehr Schweden Krimis schreiben. Nun bin ich kein ausgewiesener Krimi-Experte, nicht einmal ein besonders eifriger Krimi-Leser. Aber ich glaube, dass sich schwedische Krimis gerade im Vergleich mit der angelsächsischen Tradition, wo es viel um Rätsel und um überraschende Wendungen geht, immer auch als Gesellschaftsromane verstanden haben. Schon bei Sjöwall und Wahlöö gab es dieses moralisches Pathos. Nicht die Frage nach dem Täter ist interessant, sondern die Bedingungen der Tat. Henning Mankell und später auch Stieg Larsson haben diesen Faden aufgenommen. Jeder auf seine Art. Dazu kommt bei Larsson, dass sich in seinen Büchern auch eine weitere Entwicklung spiegelt: Er machte mit Lisbeth Salander eine Frau zur Heldin. Frauen waren im Krimi lange nur Opfer, wurden vergewaltigt und ermordet oder mussten von Männern beschützt werden.
Larsson plante zehn „Millennium“-Romane. Setzen Sie seine Absicht um?
Lagercrantz: Nein. Ich arbeite gerade an meinem dritten. Danach ist für mich Schluss. Passion darf nie zur Routine werden. Ich glaube, es ist gut für mich als Autor und für die Reihe.