Luther: Reformator, Politiker - Hassprediger?

Berlin (APA/dpa) - „Hier stehe ich. Ich kann nicht anderes. Gott helfe mir. Amen.“ Die Aussage wurde Dr. Martinus Luther als Gegenrede zu Ka...

Berlin (APA/dpa) - „Hier stehe ich. Ich kann nicht anderes. Gott helfe mir. Amen.“ Die Aussage wurde Dr. Martinus Luther als Gegenrede zu Kaiser und Papst auf dem Wormser Reichstag 1521 im Nachhinein in den Mund gelegt, um den Mythos Luther zu befördern. Gerade im evangelisch dominierten Preußen des 19. Jahrhunderts suchte man Heroen der deutschen Geschichte und fand sie auch in Luther.

Ein Deutscher wehrt sich gegen die geldsaugende, korrupte Kurie in Rom und gegen den Habsburger Kaiser, der alles andere lieber tat, als sich um den deutschen Teil seines Weltreiches zu kümmern. Das passte Bismarck und den Preußen so recht ins Bild. Auch wenn es nicht Luther allein war, der da gegen Kaiser und Papst opponierte: Einige deutsche Fürsten standen hinter ihm, voran der mächtige Sachse Friedrich der Weise.

Friedrich zog Luther auf der Rückreise von Worms nach Wittenberg aus dem Verkehr und versteckte ihn auf der Wartburg. Es ging um Luthers Leib und Leben. Man könnte das „aufmüpfige Mönchlein“ ja nochmals gebrauchen. Spätestens hier zeigt sich, dass Luther einerseits politisches Werkzeug im Machtspiel der Großen war. Andererseits selbst immer stärker politisierte.

Vor 500 Jahren war der Katholizismus Staatsreligion und damit genau so politisch wie heute der Islam in den meisten muslimischen Ländern. Daher steckte in den 95 Thesen Luthers gegen den Ablasshandel der katholischen Kirche zwangsläufig eine politische Dimension. Er hat damit eben nicht nur eine religiös-theologische Erneuerung losgetreten. Er hat damit auch eine politische Situation geschaffen, die noch zu seinen Lebzeiten zu einem scharf abgrenzenden Lagerdenken führte, das weit ins 20. Jahrhundert hinein fortlebte und direkt oder indirekt Anlass für Kriege war.

Diese Seite seines Tuns hat Luther wohl erst nach Worms für sich angenommen. Als in Wittenberg Unruhen ausgebrochen waren und die Aufständischen sich auf ihn beriefen, brach Luther seinen Wartburgaufenthalt ab. Das wollte er nicht dulden. Revolution passte nicht ins Weltbild des Revoluzzers.

Wie der Katholizismus versuchten Luther und seine Nachfolger ihre Kirche als Staatskirche zu etablieren. Dies gelang im sogenannten Augsburger Religionsfrieden von 1555 mit der später aufgebrachten Rechtsformel „cuius regio, eius religio“ („Wem das Land gehört, der bestimmt die Religion“).

Damit ist auch Luthers Zickzackkurs im Bauernkrieg zu erklären. Zuerst redete er den Fürsten ins Gewissen, nicht so übel mit den Bauern umzugehen. Das war der moralische Luther, der Theologe und Priester. Dann sah er, dass der Aufstand aus dem Ruder lief und damit die Staats- und die Kirchenordnung bedroht war, und er schlug sich auf die Seite der Obrigkeit. Das war der staatstreue Luther im damaligen Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation.

Je mehr er in seinen späteren Jahren sein theologisches Werk in Gefahr sah, umso heftiger polemisierte er gegen vermeintliche Feinde im In- und Ausland. Das traf zu allererst die Juden. Als er merkte, dass er sie nicht bekehren konnte, drosch er - vor allem in seinen Predigten - noch vehementer auf sie ein, als es in seiner Zeit ohnehin schon gang und gebe war.

Nicht minder heftig ging es gegen den Papst, für den die Beschimpfungen offenbar nicht schlimm genug sein konnten. „Hurenwirt aller Hurenwirte“, „Erzkirchendieb und Kirchenräuber“ - Man sieht Luther auf der Kanzel förmlich toben. Und auch die in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts vor Wien stehenden muslimischen Türken traf Luthers Hass in der Predigt.

Noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts feierte Deutschland Bismarck und Luther als zwei „deutsche Eichen“ - auch wenn der 100. Geburtstag des eisernen Kanzlers 1915 und vor allem das 400. Reformationsjubiläum 1917 vom Ersten Weltkrieg überschattet waren.

Luther ist zweifellos eine herausragende Gestalt der deutschen Geschichte. Aber als deutschen Heroen kann und konnte ihn die evangelische Kirche 2017 nicht mehr feiern - angesichts von drei Millionen türkischstämmigen Mitbürgern und gut 70 Jahre nach dem Holocaust. Heute versucht auch die Kirche, Luther als Mensch seiner Zeit zu verstehen - und zu akzeptieren.