1918/2018 - Fischer: „Demokratie ist nicht unzerstörbar“
Wien (APA) - Österreich feiert im kommenden Jahr 100 Jahre Demokratie. Koordiniert werden die Feierlichkeiten zum Republiks-Jubiläum von Alt...
Wien (APA) - Österreich feiert im kommenden Jahr 100 Jahre Demokratie. Koordiniert werden die Feierlichkeiten zum Republiks-Jubiläum von Altbundespräsident Heinz Fischer. Er plädiert im Gespräch mit der APA dafür, die Lehren aus dem Scheitern der Ersten Republik hochzuhalten: „Die Demokratie ist nicht unzerstörbar, umso größer ist die Verantwortung für die Demokratie.“
Natürlich dürfe man die Leistungen der Ersten Republik nicht verkennen, sagt Fischer - etwa die bis heute gültige Verfassung und die damals gelegten Grundlagen des Sozialstaates. „Aber unterm Strich hat die Erste Republik in einem Abgrund geendet“, verweist Fischer auf die „Katastrophenjahre“ 1933, 1934 und 1938: „Man muss versuchen, aus der Geschichte zu lernen. Wir wollen ja nicht für die gleichen Fehler immer wieder Lehrgeld bezahlen müssen.“
Daher begeht die Republik im kommenden Jahr nicht nur ihren 100. Geburtstag, sondern gedenkt auch des „Anschlusses“ an Hitler-Deutschland und des November-Pogroms gegen die jüdische Bevölkerung 1938. Dazu kommt noch der Jahrestag der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte durch die UNO 1948, die Niederschlagung des Prager Frühlings durch Truppen des Warschauer Paktes 1968 und gewissermaßen als Vorläufer der Demokratisierung die gescheiterte Revolution von 1848. Höhepunkt der Feierlichkeiten ist ein Festakt in der Staatsoper am 12. November 2018, den Auftakt macht eine Veranstaltung im Wiener Rathaus am 11. Jänner.
Sinnvoll fände Fischer auch eine Initiative der österreichischen EU-Präsidentschaft im zweiten Halbjahr 2018 für ein gemeinsames Gedenken zum Ende des Ersten Weltkrieges. „Den 11. November kann man nicht sang und klanglos über die Bühne gehen lassen“, sagt Fischer. Schließlich seien die damaligen Kriegsparteien heute in der gemeinsamen Europäischen Union vereint.
Zentrale Lehre aus dem Scheitern der Ersten Republik ist für Fischer vor allem, „dass man politische Feindschaft nicht ungestraft bis zum Extrem zuspitzen darf“ und dass bei Mehrheitsentscheidungen auch der Minderheit Spielraum gelassen werden muss. Dazu gehört für Fischer auch der Respekt für die Menschenrechte inklusive Asylrecht. Die Zweite Republik habe das bisher berücksichtigt und sei alles in allem eine Erfolgsgeschichte gewesen, so Fischer. Und er geht davon aus, dass das auch mit der Neuauflage der schwarz-blauen Koalition so bleibt: „Alle diese Lehren sind nicht falsch geworden, deshalb weil sich die Zusammensetzung der Regierung ändert.“
Das vorläufige Ende der Großen Koalition zwischen ÖVP und SPÖ sieht Fischer nicht als grundsätzliches Problem. „Das hat es ja schon mehrfach gegeben“, verweist Fischer auf die Alleinregierungen von ÖVP (ab 1966) und SPÖ (ab 1970) sowie auf die erste schwarz-blaue Regierung ab 2000. „Niemand wird den Fehler machen, zu sagen, Österreich kann nur unter der Ägide der Großen Koalition blühen und gedeihen“, sagt Fischer. „Aber es kann nur blühen und gedeihen, wenn man gewisse Grundwerte achtet.“
Problematisch wäre für Fischer allerdings eine radikale Verfassungsreform hin zu einer Volksgesetzgebung unter Umgehung des Parlaments, wie sie im Wahlkampf von ÖVP und FPÖ propagiert wurden. Damit drohe die Gefahr, dass eine vergleichsweise kleine Gruppe von zehn Prozent der Wahlberechtigten oder weniger „einen Gesetzestext auf den Verhandlungstisch des Nationalrats nagelt“. Fischer warnt vor emotionalen Ad-Hoc-Entscheidungen und dem Einfluss von Boulevardzeitungen auf die Gesetzgebung: „Dass man plebiszitär den Nationalrat überstimmen kann, halte ich für kein gutes Modell.“ Darunter würde die Qualität der Gesetzgebung leiden. Als warnendes Beispiel sieht Fischer die „Brexit“-Volksabstimmung: „Ich glaube, dass das ein gutes Beispiel ist, dass ein Plebiszit einen Riesenschaden anrichten kann.“
Nicht sinnvoll fände Fischer übrigens eine Rückkehr zu einem Nationalfeiertag am 12. November, dem Tag der Republiksgründung. Der 12. November wirkte nämlich schon in der Ersten Republik wenig integrativ. Gefeiert hätten ihn vor allem die Sozialdemokraten, während bei den Christlichsozialen keine Feststimmung aufgekommen sei, so Fischer. 1965 einigte man sich daher auf den 26. Oktober - also jenen Tag, an dem 1955 die „immerwährende Neutralität“ beschlossen wurde. „Die Diskussion betrachte ich als abgeschlossen. Ich glaube nicht, dass es irgendeinen Sinn hätte, zu sagen, wir sollten lieber zum 12. November zurück, weil es jetzt 100 Jahre her ist.“