1918/2018: Bund-Länder-Konflikt - Ein Erbstück der Republiks-Gründung

Wien (APA) - Der bis heute aktuelle Bund-Länder-Konflikt war schon bei der Gründung der Republik vor 100 Jahren angelegt. Darauf verweist Re...

Wien (APA) - Der bis heute aktuelle Bund-Länder-Konflikt war schon bei der Gründung der Republik vor 100 Jahren angelegt. Darauf verweist Rechtshistoriker Thomas Simon im Gespräch mit der APA. Denn die Gründung des neuen Staates verlief auf zwei Ebenen - einmal als Einheitsstaat in Wien und ein zweites Mal als föderales Gebilde in den Ländern. In der Verfassung von 1920 blieb der Kompetenzkonflikt ungelöst.

„Das Spannungsverhältnis zwischen Bund und Ländern, das bis heute als Grundproblem der österreichischen Politik existiert, ist im Staatsgründungsvorgang angelegt“, sagte Thomas Simon, der an der Universität Wien an einer österreichischen Verfassungsgeschichte arbeitet. Versuche, das föderale System zu ändern, seien bisher an den festgefahrenen Strukturen in Österreich gescheitert.

Der Zusammenbruch der Monarchie und die Staatsneugründungen in den überwiegend von Slawen bewohnten ehemaligen Kronländern stellten 1918 die deutschsprachigen Österreicher in den „Alpenländern“ der österreichisch-ungarischen Monarchie vor die Aufgabe, einen eigenen Staat zu gründen. Bei dieser Republiksgründung liefen zwei Handlungsstränge parallel ab, erklärte Simon, Vorstand des Institutes für Rechts- und Verfassungsgeschichte.

Der eine habe in Wien gespielt, in der provisorischen Nationalversammlung, die bis zur Selbstauflösung des Reichsrates, des Parlaments der cisleithanischen Reichshälfte der österreich-ungarischen Monarchie, im niederösterreichischen Landhaus in der Herrengasse tagte. Erst am 12. November 1918 übersiedelte sie ins Parlamentsgebäude und beschloss dort das „Gesetz über die Staats- und Regierungsform Deutschösterreichs“, dessen Bekanntgabe als Ausrufung der Republik gilt.

Gleichzeitig organisierten sich die Länder in den Landeshauptstädten neu und schlossen sich zum Bundesstaat Österreich zusammen. So standen sich von Anfang an zwei Erzählungen über die Staatsgründung gegenüber: „Das eine Narrativ sieht den Staat von Wien aus, das heißt also, zentral gegründet. Das andere Narrativ sieht den Staat als von den Ländern aus aufgebaut,“ erklärte der Verfassungshistoriker.

Die Wahrheit liege in der Mitte: „Relativ frühzeitig koordinierten die Wiener Akteure in der provisorischen und dann in der konstituierenden Nationalversammlung ihr Vorgehen mit den Akteuren in den Landeshauptstädten.“ Erkennbar sei dies am „Gesetz betreffend die Übernahme der Staatsgewalt in den Ländern“ vom 14. November 1918, mit dem die provisorische Nationalversammlung akzeptiert habe, was bereits in den Ländern faktisch geschehen sei und es in die provisorische Verfassungsordnung integrierte habe, so Simon.

„Das Bundes-Verfassungsgesetz ist letztlich ein Kompromiss zwischen stark föderalen bundesstaatlichen Konzepten und einem einheitsstaatlichen Konzept“, erklärte der Experte. Aufgrund der starken Überschneidungen von Bundes- und Landeskompetenzen sei der Bund-Länder-Konflikt bereits im Staatsgründungsvorgang angelegt und in die Verfassung von 1920 übernommen worden, die - mit Unterbrechung während der Herrschaft des autoritären Ständestaats und während des „Anschlusses“ an das Deutsche Reich - in ihrer novellierten Fassung von 1929 nach wie vor gültig ist.

Der Konflikt werde seither immer wieder in den Föderalismusdebatten erkennbar: „Bei jedem Haushaltsdebakel wird entschieden vorgetragen, dass dieses föderale System sehr teuer und gleichzeitig ineffizient ist - und genauso entschieden wird von den Ländern widersprochen“, so der Historiker. „Das ist ein Erbstück aus der Monarchie.“

In der Soziologie spräche man von „Pfadabhängigkeit“, wenn derartige Mechanismen einen zwingenden Charakter bekommen. Je längerfristig sie sich einpendeln, desto schwieriger werde es, diese Strukturen durch Neues zu ersetzen. In Österreich sei die Pfadabhängigkeit besonders stark ausgeprägt: „Alle Versuche, an dem föderalen System etwas zu ändern, sind daher bisher gescheitert und werden höchstwahrscheinlich auch scheitern“, meinte Simon.