1938/2018 - Historiker Hoffmann: Datum weiter „emotional aufgeladen“
Wien (APA) - Der Historiker Georg Hoffmann (geb. 1979) ist Kurator am „Haus der Geschichte Österreich“ (HGÖ), das im kommenden Jahr mit eine...
Wien (APA) - Der Historiker Georg Hoffmann (geb. 1979) ist Kurator am „Haus der Geschichte Österreich“ (HGÖ), das im kommenden Jahr mit einer Republikausstellung eröffnen soll. Im Gespräch mit der APA schildert er, wie heikel der Umgang mit den Ereignissen des Jahres 1938 auch noch heute ist und wie sich das HGÖ dieses Themas annehmen wird.
APA: Wir haben ein Gedenkjahr vor uns, das an mannigfaltige Daten erinnert. Würden Sie meinen, dass der „Anschluss“ im März 1938 nach wie vor das heikelste Datum in diesem Zusammenhang ist?
Georg Hoffmann: Wir nennen ihn ja auch „Bedenktag“ und betrachten ihn als einen zentralen, für das österreichische Gedächtnis äußerst relevanten Zeitpunkt. Insofern könnte man ihn als heikel bezeichnen. Das Ereignis selbst steht hinsichtlich seiner Abläufe und Folgewirkungen heute außer Diskussion, ist jedoch in seiner Wahrnehmung emotional aufgeladen. An diesem Punkt wird die problematische Rolle Österreichs im Nationalsozialismus festgemacht. Ein wichtiges Symbol dafür ist dabei der Balkon oder Altan am Heldenplatz, von dem aus 1938 der sogenannte „Anschluss“ an das Deutsche Reich verkündet wurde. Der Balkon war und ist dabei eine Leerstelle innerhalb des offiziellen Gedenkens der Republik Österreich.
APA: Der „Führerbalkon“ wird ja nun Teil des Hauses der Geschichte. Wie geht man damit konkret um?
Hoffmann: Der Balkon ist Teil des Hauses der Geschichte Österreich und verlangt eine Thematisierung. Das gilt besonders für den März 2018, also jenen Zeitpunkt, an dem wir des sogenannten „Anschlusses“ vor 80 Jahren gedenken mit allem, was davor und danach erfolgt ist. Es wird dort eine künstlerische Installation geben, die den Balkon in ein öffentliches Bewusstsein holt und ihn diskutiert. Das Haus der Geschichte Österreich richtet sich dabei ganz nach dem Grundsatz, den Eli Wiesel formuliert hat, als er 1992 eine Rede am Balkon gehalten hat. Er hat dabei deutlich gemacht, dass es nicht um den Balkon an sich geht, sondern viel stärker darum, was unter und vor dem Balkon passiert, wie Menschen darauf reagieren. Das ist auch der Zugang, den wir wählen, denn wir erleben immer wieder auch ganz konkret, dass der Balkon auch von rechtsradikalen Strömungen als Symbol vereinnahmt wird. Es wird also eher um ein Zurückspielen in die Gesellschaft gehen, um eine Kommunikation mit den Menschen und mit der Gesellschaft.
APA: Diese nach wie vor vorhandenen Emotionen - inwieweit machen diese die Ausstellungsgestaltung zum Kapitel 1938 weiterhin zu einem Minenfeld?
Hoffmann: Das Aufbrechen von verhärteten Narrativen, von Opfermythen, liegt teilweise noch nicht allzu lange zurück und ist etwas, das wir aktuell immer wieder in Diskussion sehen. Das wird auch eine Herausforderung für die neue Regierung sein, sich dazu zu verhalten, weil wir erkennen, dass diese österreichischen Opfermythen, speziell jene zu den Folgewirkungen nach 1938, durchaus zurückkehren.
APA: Die sogenannten Waldheim-Jahre brachten eine offenere Auseinandersetzung mit jener Zeit. Könnte die neue Regierung da einen Rückschritt bringen?
Hoffmann: Die Gefahr eines Rückschrittes besteht jederzeit, nicht nur politisch, sondern gesamtgesellschaftlich. Der Bruch des Bildes von Österreich als erstem Opfer des Nationalsozialismus mit der Waldheimkrise 1986 war ein starker. Dennoch erleben wir aktuell die Rückkehr der „Opferthese“ in anderer Form. Sie ist dabei stärker an 1945 festgemacht und betrachtet Österreich als Opfer des Krieges. Dahinter tritt die Beteiligung von Österreicherinnen und Österreichern innerhalb des Regimes und auch der Eskalation von Gewalt weitgehend zurück. Hier gilt es auch für die Zukunft politische Zeichen zu setzen.
APA: Gibt es zum Kapitel „Österreich und der Nationalsozialismus“ überhaupt noch ungeklärte bzw. zu wenig erforschte Bereiche?
Hoffmann: Was wissenschaftlich stark in Diskussion steht, ist der Bereich der Täterschaft. Hier ist man weggegangen von den sogenannten Megatätern wie etwa Ernst Kaltenbrunner, die schon seit 1945 nicht mehr als Österreicher, sondern primär als Deutsche wahrgenommen wurden. Heute geht es stärker um Personen des Alltags, die Gewalteskalationen mitgeprägt haben, um Zuschauer und Mittäter. Warum war die Begeisterung beim „Anschluss“ so groß? Warum war die Bereitschaft so groß, die Feindbilder, die der Nationalsozialismus vorgegeben hat, aufzugreifen und in einer Art vorauseilendem Gehorsam auch anzuwenden? Bei den sogenannten „Anschluss-Pogromen“ haben Menschen auf der Straße Gewalt selbst initiiert. Da sind wir wieder bei einer der Kernfragen: Wie haben die Menschen darauf reagiert? Wie ist der Nationalsozialismus angenommen worden? Wie hat er sich innen und von unten aufgebaut? Wie ist er gestützt worden? Bei 1938 müssen wir lange Kontinuitätslinien ziehen. Einerseits die vorhandene Tradition des Antisemitismus, die lange Geschichte der Gewalt von 1918 herauf, der Abbau der demokratischen Werkzeuge und der Aufbau von Polarisierungen. Es ist auch die Frage, wie es mit „Ständestaat“ bzw. Austrofaschismus weitergegangen wäre, wo ja eine faschistische Diktatur im Aufbau war. Das alles hat hohe Relevanz für eine heutige Gesellschaft.
APA: Die von Schuschnigg kurzfristig anberaumte Volksabstimmung über ein freies Österreich wäre genauso manipuliert gewesen wie die spätere „Anschluss“-Volksabstimmung.
Hoffmann: Genau, es sind Wahlzettel gedruckt worden, auf denen nur das „Ja“ vorhanden war. Ständestaat und Austrofaschismus sind für lange Zeit als Bekämpfer des Nationalsozialismus wahrgenommen worden und werden bis heute vielfach als „erstes Opfer“ des Nationalsozialismus gesehen. Besonders stark wirkt hier ein „Dollfuß-Mythos“, bei dem die vorhandenen Bilder kaum gegensätzlicher sein könnte: einerseits Arbeitermörder, andererseits Heldenkanzler. Hier gilt es anzusetzen und diese Zugänge mit all ihren problematischen Aufladungen zu thematisieren.
APA: Das umstrittene Dollfuß-Gemälde aus dem ÖVP-Parlamentsklub hängt jetzt als Dauerleihgabe im Haus der Geschichte in St. Pölten. Hätten Sie es gerne für das Wiener Haus der Geschichte gehabt?
Hoffmann: Ich muss sagen, dass ich vor allem froh darüber bin, dass dieses Bild einem Museum übergeben und damit in einen historischen Kontext gestellt wurde. Das Haus der Geschichte Österreich wird „Dollfuß“ über andere Zugänge thematisieren - auch und besonders weil das Leitthema Demokratieentwicklung ist, unter Beleuchtung jener Zeiträume, in denen Demokratie abgebaut und zerstört wurde bzw. nicht vorhanden war. Der Aufbau eines Führerkultes, im konkreten Fall eines „Dollfuß-Mythos“, festgemacht an diesem Bild, ist dabei nur ein Symptom von wesentlichen größeren Fragen, die uns beschäftigen.
APA: Wird auch 1848 thematisiert?
Hoffmann: Ja, es wird natürlich eine Vorgeschichte geben, auch vor dem Hintergrund, dass man 1918 und den Aufbau der Republik nicht als „Stunde Null“ betrachten sollte. Österreich in all seinen Entwicklungen, aber auch Demokratie hat natürlich eine Vorgeschichte. Wir werden hier natürlich die Linien bis 1848 ziehen. Gerade wenn es um Demokratieentwicklung geht, ist das etwas, was nicht wegbleiben darf und auch nicht wegbleiben wird.
(Das Gespräch führte Wolfgang Huber-Lang/APA)