1848/2018 - Historiker Häusler gegen „Tilgung des Gedächtnisses“

Wien (APA) - Manchmal gibt es historische Kontinuitäten, wo man sie nicht vermuten würde: Die jüngsten Regierungsverhandlungen zwischen ÖVP ...

Wien (APA) - Manchmal gibt es historische Kontinuitäten, wo man sie nicht vermuten würde: Die jüngsten Regierungsverhandlungen zwischen ÖVP und FPÖ haben im Palais Niederösterreich begonnen, dem einstigen Ständehaus und späteren Niederösterreichischen Landhaus. Hier nahm die Märzrevolution 1848 ihren Ausgang. „Auch der eigentliche Staatsgründungsakt 1918 ist hier erfolgt“, sagt der Historiker Wolfgang Häusler.

Im Gegensatz zu den beiden anderen Anlässen für das kommende Gedenkjahr - Republikgründung 1918 und „Anschluss“ 1938 - ist die Revolution von 1848 im kollektiven Gedächtnis des Landes kaum verankert. „Die Revolution wird allzu wenig in der gängigen österreichischen Geschichtsschreibung berücksichtigt“, sagt Häusler, emeritierter Professor für Österreichische Geschichte an der Universität Wien. Mit seinem jüngst erschienenen Buch über „Revolution und Demokratie in Österreich 1789 - 1848 - 1918“ hat er den Versuch unternommen, der vorherrschenden „dynastischen Prägung der österreichischen Geschichte die demokratisch-revolutionäre Tradition entgegenzusetzen“.

Als Buchtitel wählte er „Ideen können nicht erschossen werden“, einen Ausspruch des Philosophen und Journalisten Hermann Jellinek, der als einer der intellektuellen Anführer des Oktoberaufstandes 25-jährig exekutiert wurde. „Für sein Todesurteil genügte ein Zeitungsartikel.“ Nach der Niederwerfung der Wiener Oktoberrevolution, die insgesamt 3.000 bis 4.000 Tote gekostet haben dürfte, zeigten sich die Machthaber unerbittlich: An die 70 Todesurteile wurden in Österreich vollstreckt, 120 Hinrichtungen gab es in Ungarn. „Man hat mit allen Mitteln versucht, die Revolution mundtot zu machen“, so Häusler. Das sei der Habsburger-Monarchie, deren Hof in den Revolutionswirren zunächst nach Innsbruck und Olmütz geflohen war, auch so nachhaltig gelungen, dass deren Narrativ bis heute weiterwirke, beklagt der Historiker im Gespräch mit der APA.

Wenn etwa Alfred Fürst zu Windisch-Graetz als Kriegsheld verehrt werde, dann gelte dies einem Mann, der den Prager Pfingstaufstand niedergeschlagen und bei der Rückeroberung des revolutionären Wien im Oktober 1848 besonders brutal vorgegangen sei und dabei auch die Hofburg in Brand geschossen habe. Wenn beim Neujahrskonzert der Radetzkymarsch mitgeklatscht werde, „bejubelt man einen Gegenrevolutionär“, der die italienischen Aufständischen besiegt hatte. Wenn etwa der am Sturm auf Wien und im Kampf gegen die Demokratiebestrebungen Ungarns an vorderster Front beteiligte kroatische Feldherr Joseph Graf Jelacic und der österreichische Feldherr Julius von Haynau, der für die Hinrichtungen von 13 Generälen in Arad und des ungarischen Ministerpräsidenten Lajos Batthyany in Pest verantwortlich war, weiterhin auf den Ehrenbürgertafeln von Wien stünden, dann zeuge dies von geringem Bewusstsein für die Vorgeschichte der Demokratie in Österreich, die im November 1918 nicht vom Himmel gefallen sei.

Der nach Kremsier verlegte Reichstag habe bereits einen Grundrechtskatalog erarbeitet, der sich im Ausgleich 1867 und später in der Republiksverfassung von 1920 wiedergefunden habe. „Dieses positive Erbe ist es, das hochzuhalten und zu erinnern ist“, so Häusler. Auch für die Lösung der nationalen Frage sei dort Grundlagenarbeit geleistet worden. „Für die Monarchie war es eine versäumte Gelegenheit, denn sie hat stattdessen die nationale Differenzierung der Revolution von 1848 dazu benützt, um mit dem Triumvirat Windisch-Graetz, Jelacic und Radetzky Schlag auf Schlag alle nationalen Bewegungen zu unterwerfen. Eines meiner Anliegen ist es, nachdrücklich in Erinnerung zu rufen, dass im Verlauf der Revolution bzw. der Gegenrevolution alle wesentlichen Hauptstädte der Habsburgermonarchie bezwungen worden sind: Krakau zu Ostern, Prag zu Pfingsten, Mailand im Sommer, Ofen, Pest und Lemberg im Herbst und Venedig, als Republik von San Marco eines der letzten Bollwerke der europäischen Revolution, schließlich im Jahr 1849.“

Die österreichische Sozialdemokratie habe sich in ihrem Kampf um das Wahlrecht wesentlich auf 1848 berufen und auch das Gedenken an die Märzgefallenen am längsten gepflegt. Häusler: „Man könnte die Geschichte der österreichischen Sozialdemokratie anhand dieser Märztradition darstellen. Es gibt dabei immer den Vorwurf an das Bürgertum, es habe die Revolution verraten. Das waren teilweise Massenkundgebungen, die ihren Höhepunkt zum 50. Jahrestag 1898 erreichen. Später gerät das zunehmend wieder in Vergessenheit.“ Ebenso wie der 1864 erstmals aufgestellte und seit 1888 auf dem Wiener Zentralfriedhof befindliche „Märzobelisk“, dessen lange heftig umstrittene Inschrift schließlich lediglich „13. März 1848“ lauten durfte.

Wolfgang Häusler hat sich eingehend mit den Gedenkorten an die Revolution beschäftigt. Und so lautet auch sein dringendster Wunsch an das Gedenkjahr 2018 und an das künftige „Haus der Geschichte Österreich“ als ein „Haus der Demokratie und der Republik“, dass es „die Gründerväter der Demokratie in Österreich“ würdigen möge: „Die Tilgung und Verunglimpfung des Gedächtnisses muss endlich korrigiert werden.“ Dass diese Forderung auch im 21. Jahrhundert noch zu Kontroversen führen kann, hat vor ein paar Jahren der Versuch bewiesen, im niederösterreichischen Wolkersdorf an den dort geborenen revolutionären Demokraten und Reichstagsabgeordneten Ernst Violand zu erinnern, der 1848 als Hochverräter zum Tode verurteilt wurde und nach Amerika fliehen konnte. „Die 2005 veranstaltete kleine Tagung wurde vom ÖVP-Bürgermeister boykottiert“, erzählt Häusler. „Erst zwei Jahre später konnte gegen erheblichen Widerstand zu seinem Gedenken eine Straßenbenennung durchgesetzt werden.“ Seither hat Wolkersdorf eine winzige Ernst Violand-Gasse. Sie ist eine Sackgasse.

(Das Gespräch führte Wolfgang Huber-Lang/APA)

(S E R V I C E - Wolfgang Häusler: „Ideen können nicht erschossen werden. Revolution und Demokratie in Österreich 1789 - 1848 - 1918“, Molden Verlag, 272 Seiten, 29,90 Euro, ISBN 978-3-222-15009-8)