Aufruhr in den Tropen: Rachel Kushners „Telex aus Kuba“
München (APA/dpa) - Mit einem großen Knall betrat Rachel Kushner 2013 die literarische Bühne. Ihr Roman „Flammenwerfer“ wurde in den USA ger...
München (APA/dpa) - Mit einem großen Knall betrat Rachel Kushner 2013 die literarische Bühne. Ihr Roman „Flammenwerfer“ wurde in den USA geradezu hymnisch gefeiert. Und auch in Deutschland waren die Kritiker elektrisiert. In rasantem Tempo führte Kushner (Jahrgang 1968) ihre Leser zuerst durch die Künstler- und Hipster-Szene New Yorks in den 70er Jahren, dann in das terrorgeschüttelte Italien der Roten Brigaden.
Klar, dass dieser Erfolg neugierig macht auf weitere Werke der Autorin, zum Beispiel ihr Erstlingswerk aus dem Jahr 2008 „Telex aus Kuba“. Mit fast einer Dekade Verspätung ist es im Rowohlt Verlag erschienen. Um es gleich vorweg zu sagen: „Telex aus Kuba“ erscheint wie ein Aufgalopp zu „Flammenwerfer“. Man merkt dem Roman trotz guter Ansätze insgesamt seinen Debütcharakter deutlich an. Schauplatz ist das Kuba der 1950er Jahre kurz vor Ausbruch der Revolution. Während die Revolutionäre um die beiden Castro-Brüder schon in den Bergen auf ihre Stunde warten, pflegen die Amerikaner als Quasi-Besatzer der Insel einen neokolonialistischen üppigen Lebensstil.
Denn sie sind es, die die wertvollen Nickelminen oder Zuckerrohrplantagen besitzen. Die United Fruit Company (später Chiquita) regiert mittels korrupter Präsidenten wie Prio oder Batista über den Karibik-Staat. Den Einheimischen bleibt nur die Rolle der Untergebenen, bestenfalls als Verwalter, oft als Dienstpersonal oder als willfährige Mätressen, während die Knochenarbeit auf den Plantagen von rechtlosen Haitianern ausgeführt wird.
Den Stoff für ihr Buch fand Kushner übrigens in der eigenen Familiengeschichte. Ihr Großvater war Ingenieur in der großen Nickelmine in Nicaro, ihre Mutter wuchs in Kuba auf, verließ die Insel aber noch vor der Revolution. Einige der Kollegen des Großvaters gerieten in die Hände der Revolutionäre. Eine wahre Fundgrube war für die Autorin vor allem das Archiv der United Fruit Company, das die Amerikaner auf ihrer Flucht in Kuba zurückließen.
Im Roman repräsentieren verschiedene Familien die archaisch anmutende Klassengesellschaft: Ganz oben steht die Direktorenfamilie Stites von der United Fruit Company. Der 13-jährige Sohn K.C. Stites ist eine der Erzählstimmen. Jahrzehnte später blickt er auf die Zeit in Kuba zurück. Die Unruhen beginnen mit einer wütenden Attacke der Arbeiter, die die Zuckerrohrfelder der United Fruit Company anzünden und verwüsten. Eine andere Sicht bietet Everly Lederer, die aus einer Mittelklasse-Aufsteigerfamilie stammt. Sie ist zwar noch ein Kind, in mancher Hinsicht aber hellsichtiger als K.C. Stites.
Und dann gibt es da noch die Allains, eine amerikanische Arbeiterfamilie, sogenannte Cajuns aus Louisiana: „Sie gehörten nicht in dieselbe Schublade.“ Keine Dienstboten, keine Mitgliedschaft im Pan-American-Club, kein Tennis oder Golf und damit kein Ansehen. Doch damit nicht genug, bietet Kushner zusätzlich zu diesem Gesellschaftspanorama noch ein bisschen Halbwelt-Atmosphäre durch den Auftritt eines undurchsichtigen Waffenhändlers und früheren SS-Mitglieds und einer kubanischen Varietétänzerin, die heimlich mit den Rebellen paktiert.
Es gibt gelungene Aspekte in diesem Roman, etwa die Beschreibungen der alkoholgeschwängerten Nachmittage und Abende, die die gelangweilten Ehefrauen der amerikanischen Geschäftsmänner in tropischer Schwüle totzuschlagen suchen. Man spürt geradezu die lähmende Ödnis dieser Zusammenkünfte. Oder der schockierende Auftritt eines reichen Franzosen, der es wagt, seine schwarze Frau und seine drei schwarzen Töchter der besseren Gesellschaft zu präsentieren, ein peinlicher Verstoß gegen ungeschriebene Rassegesetze.
Doch insgesamt hat Kushner Schwierigkeiten, die Handlung zu bündeln und zu konzentrieren. In der verwirrenden Vielfalt der Stimmen und Szenerien verliert der Leser leicht den Überblick und dann leider auch das Interesse. Den richtigen Spannungsbogen hat die Autorin in ihrem Erstlingswerk noch nicht raus.
(S E R V I C E - Rachel Kushner: „Telex aus Kuba“, Rowohlt Verlag, Reinbek, 464 Seiten, 20,60 Euro)