Wie teuer wird Jamaika? „Wirtschaftsweise“ treten auf die Bremse
Berlin (APA/dpa) - Die deutsche Kanzlerin sagt den Professoren erst einmal, wo‘s langgeht. „Stellt euch mal in muntere Reihe“, weist Angela ...
Berlin (APA/dpa) - Die deutsche Kanzlerin sagt den Professoren erst einmal, wo‘s langgeht. „Stellt euch mal in muntere Reihe“, weist Angela Merkel am Mittwochmorgen die fünf „Wirtschaftsweisen“ an. Die vier Herren und eine Frau - die Creme de la Creme der deutschen Ökonomenzunft - ist wie alljährlich im Herbst ins Kanzleramt gekommen, um ihr Jahresgutachten zur Lage der Wirtschaft abzuliefern.
In den vergangenen Jahren nahm Dauer-Kanzlerin Merkel die Ratschläge aus dem Elfenbeinturm der Wissenschaften eher pflichtschuldig entgegen. Doch in der heißen Phase der Jamaika-Gespräche kommt der CDU-Chefin der dicke Wälzer mit seinen 437 Seiten gelegen. Die „Weisen“ warnen die angehenden Jamaika-Koalitionäre davor, die dank des Wirtschaftsbooms und sprudelnder Steuereinnahmen auflaufenden Finanzüberschüsse zur Erfüllung sündhaft teurer Wahlversprechen zu verpulvern. „Gerade in guten Zeiten ist der Wunsch nach Verteilung ein sehr dominanter“, sagt auch Merkel. Im Wahlkampf seien bei den Bürgern viele Erwartungen an den Staat geweckt worden. „Hier die richtige Balance zu finden, das ist unsere Aufgabe.“
In ihren Wahlprogramm hatten CDU, CSU, FDP und Grünen den Bürgern in vielen Bereichen den Mund wässrig gemacht - schon in den nächsten Tagen dürften sich die Parteistrategen aber von dem ein oder anderen Prestigeprojekt verabschieden. An diesem Donnerstag wird der Interims-Finanzminister und Merkel-Vertraute Peter Altmaier die Ergebnisse der Steuerschätzung bekanntgeben.
Bisher wurde für die Jahre 2019 bis 2021 ein „finanzieller Spielraum“ von 14,8 Milliarden Euro ausgewiesen - für alle drei Jahre zusammen. Nun könnten noch einmal etwa 15 Milliarden dazukommen. Aus dem Vollen schöpfen kann ein Jamaika-Bündnis damit keineswegs. Der nächste Finanzminister muss sich - neben der Einhaltung der „schwarzen Null“ im Haushalt - auf steigende Verteidigungs- und Entwicklungsausgaben, Mehrkosten für Polizei, Digitales, Bildung, die EU oder den Kampf gegen Fluchtursachen einstellen.
FDP-Chef Christian Lindner - der aus guten Gründen zögert, ob er die Schäuble-Nachfolge übernehmen soll - nutzte nach den Kompromisssignalen der Grünen bei Auto, Klima und Kohle die Gunst der Stunde, sich von der im Wahlkampf von seiner Partei erhobenen 30-Milliarden-Steuersenkungsforderung zu verabschieden. Nun konzentriert sich die FDP auf die Abschaffung des Soli-Steuerzuschlags bei der Einkommensteuer. Doch der soll auch nicht mehr auf einen Schlag sofort abgeschafft werden (was mal eben ein 20-Milliarden-Loch in den Bundeshaushalt reißen würde), sondern „in dieser Wahlperiode“.
Merkel dürfte wohlwollend zur Kenntnis nehmen, wie zumindest Grüne und FDP sich in ihrem Sinne bewegen, die nötige Balance im angestrebten Vierer-Bündnis hinzubekommen. Aber wie sieht es bei der CSU aus? Die „Wirtschaftsweisen“ halten nichts von der Idee der Christsozialen, die „Mütterrente“ auszuweiten. Auch für Kinder, die vor 1992 geboren wurden, sollen künftig drei statt zwei Jahre Kindererziehungszeit angerechnet werden - so wie bisher schon für Kinder, die ab 1992 zur Welt kamen. Kostenpunkt: Um die sieben Milliarden Euro pro Jahr. Die geschwächte CSU - mit einem um sein politisches Überleben kämpfenden Vorsitzenden Horst Seehofer und der Landtagswahl im Herbst 2018 vor Augen - dürfte aber auch in der Sozial- und Familienpolitik auf einem Skalp bestehen.
Die Wunschlisten von Schwarz-Gelb-Grün sind aber länger und teurer. Stichwort Baukindergeld: Die Union will Familien beim Immobilienkauf mit einem Zuschuss von jährlich 1.200 Euro pro Kind helfen. Diese Subvention würde den Staat nach früheren Angaben aus Bayern bis 2021 insgesamt rund 2,2 Milliarden Euro kosten. Den Grünen schwebt eine Wohnungsförderung für junge Familien und Menschen mit weniger Einkommen vor, der Wohnungsbau soll mit Staatsgeld angekurbelt werden. Die Wissenschafter sagen: Finger weg! Schon die frühere Eigenheimzulage habe nicht viel gebracht, die Immobilienwirtschaft werde die Preise entsprechend anheben.
Stichwort Kinderfreibetrag: Den wollen CDU/CSU in zwei Schritten bis zum Grundfreibetrag für Erwachsene anheben. Auch das Kindergeld soll entsprechend erhöht werden. Allein der erste Schritt dürfte etwa sechs Milliarden Euro pro Jahr kosten - zusätzlich zu den Steuerentlastungen. Die „Wirtschaftsweisen“ überzeugt das nicht. Weder seien davon mehr Geburten, noch eine zielgerichtete Bekämpfung der Kinderarmut in Deutschland zu erwarten - zumal Steuerzahler mit hohem Einkommen stärker profitieren würden. „Eine bessere Sozialpolitik lässt sich nicht mit dem Gießkannenprinzip sicherstellen.“ Sozial gerechter wären niedrigere Sozialabgaben, davon profitierten alle Arbeitnehmer - unabhängig vom Einkommen.
Ob die Jamaika-Unterhändler am Ende auf den Rat der Ökonomen hören, den wirtschaftlichen Aufschwung zum guten Haushalten zu nutzen, daran hat auch die Physikerin Merkel berechtigte Zweifel: „Politisch ist das nicht ganz so einfach wie es wissenschaftlich einleuchtend ist.“