Buch Wien: Gauß gegen Versuch, „der Politik die Politik auszutreiben“

Wien (APA) - Mit einer Rede des Schriftstellers und Publizisten Karl-Markus Gauß ist am Mittwochabend die zehnte „Buch Wien“ eröffnet worden...

Wien (APA) - Mit einer Rede des Schriftstellers und Publizisten Karl-Markus Gauß ist am Mittwochabend die zehnte „Buch Wien“ eröffnet worden. Gauß beschäftigte sich ausführlich mit dem jüngsten Nationalratswahlkampf und der Fremdenfeindlichkeit, die zunehmend politisch reüssiere. Die Buchmesse bietet bis Sonntag ein dichtes Programm. Im Vorjahr war mit 43.000 Besuchern ein neuer Rekord erzielt worden.

Gauß verwendete die kleine Schweizer Gemeinde Renens in der Nähe von Lausanne als Klammer seiner Eröffnungsrede. Mitten in der Schweizer Provinz sei er auf eine vorbildliche Integrationspraxis gestoßen. Neben dem Angebot zum möglichst raschen Erwerb der Umgangssprache Französisch werden dort in der Bücherei Globlivres Bücher „in sagenhaften 280 Sprachen“ bereitgehalten, um den Kindern der Migranten „eine solide Basis in ihrer Mutter- oder Elternsprache“ zu ermöglichen, damit diese „das Französische gerade deswegen umso leichter erlernen können“.

In Österreich sei ihm dagegen im vergangenen Wahlkampf „ein merkwürdiger Sachverhalt“ begegnet, „dass nämlich jene, die die Integration am lautesten fordern, sich am meisten darum bemühen, dass sie zuverlässig misslingen werde“. Während „der meistgelobte und weltweit berühmteste österreichische Schriftsteller der letzten fünfzig Jahre, Thomas Bernhard“, zutreffend als „Übertreibungskünstler“ charakterisiert worden sei, könne die Bizarrheit des jüngsten Wahlkampfs unmöglich mehr übertroffen werden.

Als Belege dienten Gauß dabei u.a. das Buhlen der Parteiobmänner Sebastian Kurz (ÖVP) und Heinz-Christian Strache (FPÖ) um die größere Nähe zu Viktor Orban, die Debatte um die angeblich zu hohe Kosten verursachende Mindestsicherung für Ausländer („Das Versprechen, dass die Flüchtlinge künftig weniger erhalten werden, als sie per definitionem mindestens zur Bestreitung ihrer Existenz benötigen, genügte, sich in diesem Wahlkampf als Verfechter von Fairness und Gerechtigkeit zu profilieren.“) oder das „Spektakel von Spionage, Gegenspionage, Doppelspionage, das ÖVP und SPÖ geboten haben, um dem angewiderten Publikum die vermeintliche Wahrheit über den jeweiligen Gegner zu verraten“.

Die Sozialdemokratische Partei habe sich dabei „Söldnern des Marketings“, „Landsknechten der digitalen Ära“ ausgeliefert. Alle Parteien hätten sich bemüht, „das Stigma, Parteien zu sein, abzustreifen“. „Der Politik die Politik auszutreiben, ist natürlich ein eminent politisches Unterfangen, und den Staat gleichsam frei von politischem Dünkel wie ein Unternehmen führen zu wollen, ist ein Ziel, das die Gesellschaft unter das alleinige Diktat von Geld und Kasse stellen, also zerstören würde.“

Der mediale Übertreibungs- und Überbietungszwang habe aber dazu geführt, dass Abstrusität nicht als solche entlarvt, sondern als Beweis von Ehrlichkeit und Unangepasstheit, „als Mut, es wider Konventionen des so genannten Systems mit diesem aufgenommen zu haben“, gutgeschrieben werde. „Die Autorinnen und Autoren werden ihre eigenen, vielfältigen Formen finden, darauf zu reagieren, dass viele verwerfliche Tatsachen bereits von denen verlautbart werden, gegen die sie schreckliches Zeugnis ablegen“, sagte Gauß. „Die Herrschaft an ihrer eigenen Sprache und in der ihr neuerdings eigenen Auskunftsfreudigkeit zu fassen“, sei „gewiss ein spannendes Unterfangen“.

Politisch war auch die Rede von Benedikt Föger, dem Präsidenten des Hauptverbands des Österreichischen Buchhandels, gehalten. Er erinnerte daran, dass die Frankfurter Buchmesse kürzlich von Vorfällen und Diskussionen rund um die Teilnahme rechter Verlage sowie von Sicherheitsmaßnahmen geprägt gewesen sei. Die jüngsten Wahlen hätten in Deutschland und Österreich einen Rechtsruck gebracht: „Wir Büchermenschen blicken mit Sorge darauf, wie mit dem Hass und dem Trennenden mühelos Stimmen gewonnen werden kann. (...) Es ist unsere Verantwortung, jetzt und hier unsere Stimme zu erheben.“

Man müsse dem Hass, der Fremdenfeindlichkeit und der Ausgrenzung den Ruf nach Respekt und Vielfalt entgegenhalten, so Föger. Im Wahlkampf sei von Kultur wenig zu hören gewesen. Er appelliere daher an die Verantwortlichen, der Kultur wenigstens jetzt bei den Koalitionsverhandlungen und auch künftig gebührend Aufmerksamkeit zu schenken. „Stärken sie das Urheberrecht! Sorgen Sie für Steuergerechtigkeit für Internetkonzerne. Reden Sie mit uns, und vor allem: Lesen Sie Bücher!“

„Ich bin nicht so vermessen zu sagen, dass jeder, der liest, automatisch ein besserer Mensch ist“, sagte Kulturstadtrat Andreas Mailath-Pokorny (SPÖ), der sich als derzeit begeisterter Leser von Daniel Kehlmanns Roman „Tyll“ outete. „Was aber dem geschriebenen Wort in der Welt der zunehmenden Dominanz des Bewegtbildes zuzuschreiben ist, ist die theoretische Möglichkeit der Reflexion, des Innehaltens, des Nachdenkens.“

Zum Jubiläum soll die erneut in der Halle D der Messe Wien abgehaltene Buchmesse „internationaler als je zuvor“ sein. Mit der bereits traditionellen „Langen Nacht der Bücher“ wird am Mittwochabend ein dichter Veranstaltungsreigen eröffnet. 350 Aussteller haben 8.000 Quadratmeter Ausstellungsfläche zur Verfügung. Erstmals gibt es freien Verkauf bei allen Ständen. Über 380 Autoren sind angekündigt. Eva Menasse, die Gewinnerin des gestern vergebenen zweiten Österreichischen Buchpreises, und Debütpreisträgerin Nava Ebrahimi werden am Donnerstag um 15 Uhr auf der ORF-Bühne über ihre Arbeit und die prämierten Bücher sprechen.

(S E R V I C E - www.buchwien.at )