Mai 68: Macron betritt mit Jubiläumsfeierplänen politisches Minenfeld

Paris (APA) - An Jubiläumsfeiern wird es in Frankreich 2018 nicht mangeln. 1918 endete der Erste Weltkrieg, 1948 wurde in Paris die Allgemei...

Paris (APA) - An Jubiläumsfeiern wird es in Frankreich 2018 nicht mangeln. 1918 endete der Erste Weltkrieg, 1948 wurde in Paris die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte verkündet, seit 1958 besteht die Fünfte Republik. Ein viertes wichtiges Jubiläum sorgt aktuell für erzürnte Debatten. Präsident Emmanuel Macron überlegt, dem Mai 1968 offizielle Feiern zu widmen. Vertreter von Links wie Rechts begehren dagegen auf.

In den Jahren 1967 und 1968 brachen fast überall auf der Welt Jugend- und Studentenproteste aus. Der französische Mai 1968 stach besonders hervor. Nicht nur, weil es der Protestbewegung gelang, starke Bilder zu produzieren und eingängige Slogans zu kreieren, die um die Welt gingen - „Seid realistisch, verlangt das Unmögliche“, oder „Unter dem Pflaster liegt der Strand -, sondern auch, weil sich die französische Arbeiterschaft den Protesten anschloss. Der größte Streik der Geschichte und heftige soziale Unruhen hielten das Land wochenlang in Atem.

Für die französische Rechte ist der „Pariser Mai“ nach wie vor ein rotes Tuch. Nicolas Sarkozy kündigte etwa 2007 eine „ideologische Offensive“ an, um 1968 vergessen zu machen. Er beklagte den Verfall alter Werte, dem die 68er-Bewegung Vorschub geleistet habe. Sie sei dafür verantwortlich, dass nun „überhaupt kein Unterschied“ mehr zwischen „Gut und Böse“, „Wahr und Falsch“, und „Schön und Hässlich“ gemacht werde.

In eine ähnliche Kerbe schlug der konservative Philosoph Luc Ferry, als er von den Plänen Macrons hörte, offizielle Feiern abhalten zu wollen. Der Mai 1968 sei ein Moment gewesen, in dem man traditionelle Werte und Autoritäten auf „fanatische Weise“ demontiert habe. Die hedonistischen Grundsätze der Bewegung hätten den Weg für den schrankenlosen Massenkonsum freigemacht, schrieb der Philosoph in der konservativen Tageszeitung „Le Figaro“.

Macron selbst will sich von dieser „griesgrämigen Betrachtung“ des Mai 68 befreien. Die Ereignisse hätten dazu beigetragen, die französische Gesellschaft zu modernisieren, sie liberaler zu machen, heißt es aus dem Umfeld des Präsidenten. Der Präsident, der erst 1977 geboren wurde, möchte bei etwaigen Feiern auch die nationale Perspektive aufbrechen und den Mai 1968 in den internationalen Kontext rücken. Schließlich sei es auch das Jahr des Prager Frühlings oder der blutigen Niederschlagung der mexikanischen Studentenbewegung gewesen.

Aber nicht nur Konservative wehren sich gegen die Feierpläne Macrons. Kritische Stimmen kommen auch in der linksliberalen Tageszeitung „Liberation“ zu Wort, die 1973 von Jean-Paul Sartre gegründet wurde und in enger Verbindung zur 68er-Bewegung stand. Der Staat dürfe keinesfalls eine Rebellion feiern, die sich gegen ihn selbst gerichtet habe, schreibt dort etwa der Philosoph Serge Audier, der auch den „reduktionistischen“ Blick des französischen Präsidenten auf die Ereignisse kritisiert. Macron blende die kapitalismuskritische Dimension des „Pariser Mai“ aus.

Was Macron an 68 fasziniere, sei die Idee der Öffnung hin zu einer neuen Gesellschaft, sagt der Historiker Jean Garrigues gegenüber „Liberation“. Mit dem Rückgriff auf 1968 könne er sein eigenes politisches Projekt mit dieser Periode des Aufbruchs verknüpfen. Die Stärkung der Freiheit des Individuums, eine langfristige Konsequenz von 1968, bringe Macron mit der unternehmerischen Freiheit in Verbindung, die er durch seine Politik vergrößern wolle, meint der Historiker.

Der Wunsch Macrons, das Links-Rechts-Schema aufzubrechen, könnte dazu führen, „dass er sich nur an die oberflächlichsten und unpolitischsten Seiten des Mai 68 erinnert“, befürchtet die politische Soziologin Julie Pagis. Macron werde eine bestimmte Interpretation der Ereignisse feiern, die vergesse, dass der Marxismus für die meisten Akteure handlungsleitend gewesen sei. Bei solchen Feierlichkeiten werde sich der Präsident ohne Zweifel auf mediale Figuren wie den Grünen-Politiker Daniel Cohn-Bendit stützen, auf Liberale, „die ihren Mao-Kragen gegen die Mitgliedschaft beim Rotary-Club eingetauscht haben“, so die Soziologin gegenüber „Liberation“.

Regelrecht erbost reagierte der Gewerkschafter Patrick Brody in der Tageszeitung „L‘Humanite“, einst Zentralorgan der Kommunistischen Partei Frankreichs. Er, Brody, habe 1968 als 13-Jähriger seinen Vater bei einem Fabrikstreik begleitet. In Anspielung auf die umstrittenen Arbeitsmarkt- und Steuerreformen Macrons schreibt er: „Ich will nicht (...), dass diejenigen, die die Reichen vertreten, die unsere sozialen Errungenschaften zerstören, sich erfrechen, den Mai 68 zu feiern.“

Gelassener sieht das Henri Weber, Alt-68er und ehemaliger sozialistischer Abgeordneter im EU-Parlament. Eine offizielle Feier sei eine „exzellente Idee“. „Wenn Macron dabei die sozialen Aspekte unter den Teppich kehren will, dann werden wir sie ihm in Erinnerung rufen“, so Weber gegenüber „Liberation“.