Intersexualität

Männlich, weiblich, inter: Drittes Geschlecht auch in Österreich?

Pro Jahr werden in Österreich rund 30 Kinder geboren, deren Geschlechtsmerkmale nicht den gängigen Normen für männlich oder weiblich entsprechen. (Symbolfoto)
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Nach der Entscheidung des deutschen Bundesverfassungsgerichtes für die Eintragung eines dritten Geschlechts im Geburtenregister werden auch in Österreich Stimmen nach einer gesetzlichen Anerkennung für Intersexuelle laut.

Innsbruck, Wien, Karlsruhe — In Deutschland hat das Bundesverfassungsgericht am Mittwoch beschlossen, dass es künftig bei Neugeborenen die Möglichkeit geben muss, im Geburtenregister neben „männlich" und „weiblich" auch ein drittes Geschlecht („divers" oder „inter") eintragen zu lassen. Die bisherige Regelung verstößt demnach gegen das allgemeine Persönlichkeitsrecht und gegen das Verbot der Benachteiligung wegen des Geschlechts.

Konkret soll mit dem Beschluss verhindert werden, dass intersexuell geborene Babys in eine Kategorie eingeordnet werden, der sie schlichtweg nicht entsprechen. Das ist beispielsweise der Fall, wenn ein Baby mit äußerlich männlichen Geschlechtsmerkmalen einen weiblichen Chromosomensatz besitzt. Oder auch, wenn ein Neugeborenes mit weiblicher Anatomie Hoden im Bauchraum hat (Anm.: weitere Beispiele finden Sie unter diesem Artikel bei "Hintergrund").

Gericht will erst 2018 entscheiden

In Österreich werden nun erneut Stimmen nach einer rechtlichen Anerkennung eines dritten Geschlechts laut. Der Fall des intersexuellen Oberösterreichers Alex Jürgen (40) liegt schon seit Monaten vor dem Verfassungsgerichtshof (VfGH), eine Entscheidung soll 2018 fallen (wir haben berichtet).

Alex Jürgens Fall war Anlass für das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes, wonach Menschen, deren Geschlecht nicht männlich oder weiblich ist, ein Recht auf entsprechende Urkunden haben. (Archivbild)
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Die Volksanwaltschaft will darauf allerdings nicht warten. Volksanwalt Günther Kräuter forderte am Donnerstag vom Gesetzgeber, die Initiative zu ergreifen. Die Karlsruher Entscheidung bezeichnet er als wegweisend. „Jedes Jahr werden in Österreich rund 30 Kinder geboren, deren Geschlechtsmerkmale nicht den gängigen Normen für männlich oder weiblich entsprechen", sagte Kräuter. „Weder die Medizin noch die Rechtsordnung tragen dem Umstand Rechnung, dass es ein drittes Geschlecht gibt."

„Geschlechtsangleichung" immer noch gängige Praxis

Vielerorts ist es hierzulande immer noch gängige Praxis, dass Babys mit nicht eindeutiger Anatomie das Geschlecht „männlich" oder „weiblich" zugeordnet wird. Oftmals werden von Ärzten und Eltern „geschlechtsangleichende" Operationen beschlossen und anschließend durchgeführt, um dem Kind das Leben vermeintlich zu erleichtern. Alltag und Lebensqualität von Intersexuellen sind nach solch irreversiblen Eingriffen jedoch in vielen Fällen dauerhaft beeinträchtigt — häufig erleben Intersexuelle Diskriminierung, Spott und Gewalt.

Für ein drittes Geschlecht im Personenstandsregister spricht sich daher auch die österreichische Bioethikkommission aus. Ende Oktober hat das Beratungsgremium im Bundeskanzleramt bei einer Sitzung eine einstimmige Stellungnahme zu Intersexualität und Transidentität verabschiedet. Neben der Einführung einer dritten Option in Personenstandsregistern geht es dabei u.a. um sanitäre Einrichtungen, Schutz vor irreversiblen, ungewünschten Eingriffen sowie eine mögliche Entschädigung für davon Betroffene.

Keine Eingriffe im Neugeborenen- oder Kindesalter

Ist das körperliche Geschlecht nicht eindeutig, soll laut Bioethikkommission der/die einwilligungsfähige Betroffene entscheiden, ob er/sie eine geschlechtszuordnende Maßnahme will. Eingriffe im Neugeborenen- oder Kindesalter seien grundsätzlich zu unterlassen und nur bei Vorliegen einer medizinischen Indikation gerechtfertigt. Vor allem sollten Eltern nicht denken, dass sie überhastet eine Entscheidung bezüglich des Geschlechts ihres Babys treffen müssen. Die Bundesregierung müsse zudem die Einrichtung eines Entschädigungsfonds für Betroffene, die durch eine länger zurückliegende medizinische Maßnahme geschädigt worden sind, prüfen.

Auch im Gesundheitsministerium werden im Rahmen einer Arbeitsgruppe mit Medizinern, Experten und Selbstvertretern Richtlinien für den medizinischen Bereich ausgearbeitet. Diese Gruppe fand sich auf Drängen der Volksanwaltschaft zusammen.

Deutsche Entscheidung „wegweisend" für Österreich

Die Selbstvertretungsorganisationen VIMÖ, Plattform Intersex Österreich und HOSI Salzburg begrüßen jedenfalls den deutschen Beschluss. „Es ist höchste Zeit, die Rechte jeder Person anzuerkennen, die sich nicht ausschließlich männlich oder weiblich identifiziert, unabhängig von ihren Geschlechtsmerkmalen", sagte Tobias Humer, Obmensch des Vereins intergeschlechtlicher Menschen Österreich (VIMÖ).

Die Entscheidung aus Karlsruhe könne „auch für Österreich wegweisend sein", so der eingangs bereits erwähnte Intersex-Aktivist Alex Jürgen, dessen Fall gerade beim VfGH liegt. „Möge Österreich sich nicht länger zieren und meine Pass- und Geburtsurkunde-Fälle ebenso positiv entscheiden", so Jürgen. Alle bisherigen Klagsversuche des Oberöstereichers waren erfolglos. Das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich wies die Klage Jürgens auf Eintragung eines dritten Geschlechts als unbegründet zurück. (reh)

Hintergrund

Intersexuelle sind Menschen, die sich genetisch, hormonell oder anatomisch nicht eindeutig dem männlichen oder weiblichen Geschlecht zuordnen lassen.

VARIATIONEN IM CHROMOSOMENSATZ: Häufige Ursachen für Intersexualität oder auch sogenannte Zwischengeschlechtlichkeit sind Variationen im Chromosomensatz. Eine weibliche Geschlechtsidentität wird bestimmt durch zwei X-Chromosomen, eine männliche Identität durch die Kombination von einem X- mit einem Y-Chromosom. Uneindeutig wird das Körpergeschlecht dagegen, wenn etwa nur ein einziges X-Chromosom vorhanden ist.

Dieses sogenannte Turner-Syndrom führt zu einem äußeren weiblichen Erscheinungsbild und gilt als eine der häufigsten Ursache von Intersexualität. Es gibt aber auch die Variante von XXY-Chromosomen, dem sogenannten Klinefelter-Syndrom, mit einer äußerlich männlichen Geschlechtsausprägung. Daneben sind auch Variationen bei Geschlechtshormonen bekannt, die zu Intersexualität führen können.

NICHT MIT TRANSSEXUALITÄT VERWECHSELN: Im Gegensatz zu intersexuellen Menschen sind Transsexuelle in ihrem biologischen Geschlecht eindeutig bestimmt. Diese biologischen Männer oder Frauen fühlen sich aber dem jeweils anderen psychischen Geschlecht zugehörig und streben teils über eine chirurgische oder hormonelle Therapie die Anpassung ihres Körpers an ihr psychisches Geschlecht an.

Eine körperliche oder seelische geschlechtsbezogene Zwischenstellung nehmen Transsexuelle in der Regel nicht ein. Es geht bei ihnen laut einer Stellungnahme des Deutschen Ethikrats aus dem Jahr 2012 um die „Zugehörigkeit zum männlichen oder weiblichen Pol, bei den Intersexuellen hingegen um eine Zwischenstufe".

DISKRIMINIERUNG, BENACHTEILIGUNG UND GEWALT: Der Stellungnahme zufolge ist die Lebensqualität von Intersexuellen im Alltag reduziert. „Diskriminierungs-, Benachteiligungs- und Gewalterfahrungen" spielten dabei eine wichtige Rolle. Zudem beklagten Intersexuelle eine fehlende Aufklärung und Verwechslung mit Transsexualität, falsche medizinische Behandlung sowie Spott und Beleidigung. Es werde auch bemängelt, dass intersexuelle Menschen keinen Minderheitenschutz in der Gesellschaft genössen und sich als schutz- und würdelos erlebten.

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