„Die Zukunft reicht uns nicht“: Aufstand der Erben im Schauspielhaus
Wien (APA) - Ganz schön keck, der Köck! Zwei Monate, nachdem Robert Borgmann Thomas Köcks „paradies fluten“ im Akademietheater in eine dreis...
Wien (APA) - Ganz schön keck, der Köck! Zwei Monate, nachdem Robert Borgmann Thomas Köcks „paradies fluten“ im Akademietheater in eine dreistündige, mitunter beliebig wirkende Bilderflut übersetzt hatte, brachte der oberösterreichische Autor sein neues Stück „Die Zukunft reicht uns nicht (klagt, Kinder, klagt!)“ im Schauspielhaus Wien gemeinsam mit Elsa-Sophie Jach selbst zur Uraufführung. Ein Volltreffer!
Der hundertminütige Abend ist ein eindrucksvoller Beweis für die Schlagkräftigkeit des Gegenwartstheaters: pointiert, witzig, böse, selbstironisch, hintergründig, plakativ, unterhaltsam und intelligent - manchmal abwechselnd und mitunter alles zugleich. Es geht in dieser „postheroischen Schuldenkantate“ um die kommende Erbengeneration, die sich von den „alten abgehängten weißen Männern“ um ihre Zukunft betrogen sieht. Köck bedient sich dabei der Mittel des griechischen Theaters und konfrontiert eine Seherin mit einem Klagechor.
Diese einfache Konstellation entfaltet aus zwei Gründen bestechend ihre Wirksamkeit: Der Text zeigt den Autor in Hochform, erinnert in seiner Mischung aus Aktualität und Sprachverliebtheit an Elfriede Jelinek und hebt doch nie in die Verstiegenheit ab. Und die Theatermittel, die Köck und seine Co-Regisseurin einsetzen, sind klar gesetzt und scharf konturiert. So werden die gesellschaftskritischen Aussagen nicht verwaschen und unter Regieeinfällen begraben, sondern deutlich hervorgehoben, ohne didaktisch zu werden. So macht Mitdenken Spaß. Denn Volten, nach denen man sich neu orientieren muss, gibt es zur Genüge.
Die Bühnensituation im Schauspielhaus ist umgedreht: Gespielt wird im weiß ausgemalten und mit Treppen versehenen eigentlichen Zuschauerraum und auf dem nüchtern verkleideten Balkon (Bühne: Stephan Weber). Eine Drohne schwebt durch den Raum, kurz darauf lässt eine Schauspielerin im langen, blauen Kleid einen mechanischen Vogel herumflattern. Die großartige Sophia Löffler monologisiert zunächst einmal länger vor sich hin, entwickelt die Vision einer zukünftigen Welt, die aus Licht und aus Gleichzeitigkeit besteht, und lässt einen rätseln, was sich in den vielen, vor den Zuschauern aufgelegten Bodybags befindet (nicht die einzige falsche Spur des Abends).
Allmählich sickert der Chor in den Raum: sehr junge Burschen und Mädchen, gekleidet in Bomberjacken mit „WTF“-Logo (what the fuck) auf der Brust und Sprüchen wie „game over“, „hate it here“ oder „no specials“ am Rücken. Sie sind die künftigen Erben, die sich zum Kinderklagechor formieren, zum ganzen Scheiß, den die Elterngeneration ihnen vererben wird, erst einmal eine Haltung finden müssen und schließlich Stellung beziehen. Zwischen mythologischen Rückgriffen, Geisterbeschwörung und großartigem Soundtrack gibt es handfeste Einsprengsel aus der Realität: Zitate von Trump, Cameron und Kurz kommen vom Band, und eine Gewissheit wird proklamiert: „Die Umverteilung kommt auch diese Legislaturperiode wieder nicht!“
Es kommt zu gewaltsamen Konfrontationen der Generationen (dass die jungen Leute trotz Baseballschlägern gegen die „A Clockwork Orange“-Gang wie ein Kindergeburtstag wirken, dafür können sie nichts) und zum nächsten Bruch. Die Seherin, die sich eben noch dagegen verwehrte, als Übermutter behandelt zu werden, staucht die Jugend zusammen: Sie werden ohnedies bekommen, was ihnen zusteht, „die größte Erbmasse der Geschichte“ nämlich, und sollten damit eigentlich zufrieden sein. Doch, siehe Titel: Die Zukunft reicht ihnen nicht! Deswegen bekommen sie jetzt schön vorgeführt, wie so eine ordentliche Entsolidarisierung und Vereinzelung geht: Der Chor ist nämlich mitnichten eine homogene Gruppe. Der Kleine mit der Harry-Potter-Brille erbt nämlich die Hälfte des ganzen Vermögens, die Vier da drüben ein Drittel, diese Eine da zehn Prozent und die Anderen mögen sich bitte um den ganzen Rest streiten...
Da wird der starke Chor schwach und stöhnt: „Oh Gott, diese Hoffnungslosigkeit!“ Um die Zukunft des Theaters dagegen braucht einem angesichts solcher Abende nicht bange sein. Großer, lange anhaltender Jubel.
(S E R V I C E - „Die Zukunft reicht uns nicht (klagt, Kinder, klagt!)“, eine postheroische Schuldenkantate von Thomas Köck, Regie: Thomas Köck und Elsa-Sophie Jach, Bühne: Stephan Weber, Kostüme: Giovanna Bolliger, Mit: Sophia Löffler sowie im Chor: Mona Abdel Baky, Nils Arztmann, Hanna Donald, Nathan Eckert, Lena Frauenberger, Alexander Gerlini, Ljubica Jaksic, Daniel Kisielow, Anna Kubiak, Rhea Kurzemann, Cordula Rieger, Karoline Sachslehner, Gemma Vanuzzi, Juri Zanger. Uraufführung am Schauspielhaus Wien, Weitere Aufführungen: 10., 11., 17., 18., 22.-25.11. sowie weitere Aufführungen im Dezember, Karten: 01/3170101-18, www.schauspielhaus.at)
(B I L D A V I S O – Pressebilder stehen im Pressebereich von www.schauspielhaus.at zum Download bereit.)