Forscher: Darwin war eines der ersten Boulevardblattopfer Österreichs

Wien (APA) - In Österreich gab es gerade gesellschaftliche und politische Umbrüche, als Charles Darwin die Evolutionstheorie formulierte. Da...

Wien (APA) - In Österreich gab es gerade gesellschaftliche und politische Umbrüche, als Charles Darwin die Evolutionstheorie formulierte. Das veränderte auch die Medienwelt, sagte der Kommunikationswissenschafter Josef Seethaler am Rande eines Symposiums in Wien zur APA. So wurde seine Lehre zwar zunächst nüchtern betrachtet, bald aber für diverse Zwecke missbraucht, bis er starb - und verherrlicht wurde.

Seethaler hat mit seiner Kollegin Gabriele Melischek am Institut für vergleichende Medien- und Kommunikationsforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) und der Universität Klagenfurt untersucht, wie die damaligen österreichischen Zeitungen über Darwin schrieben. Sein erstes großes Werk „Über die Entstehung der Arten“ erschien 1859 in einer Phase repressiver Pressepolitik. Bald darauf gab es im Habsburgerreich aber die Pressefreiheit - und die Medienlandschaft explodierte gleichsam. All dies schlug sich in der Darwin-Berichterstattung nieder, erklärte er am Rande des Ignaz-Lieben-Symposiums 2017, das noch bis heute, Freitag, an der ÖAW läuft. Im Rahmen der Veranstaltung mit dem Titel „Darwin in Zentraleuropa“ referieren Forscher über die wissenschaftliche, weltanschauliche und populäre Rezeption der Evolutionstheorie im 19. und frühen 20. Jahrhundert.

In den Zeiten der Zensur gab es in Österreich im Wesentlichen zwei Zeitungen, nämlich das katholisch-aristokratisch ausgerichtete „Vaterland“ und die „Presse“ der nach der Revolution 1848 „etwas unterdrückten“ Liberalen, so Seethaler. Beide beschränkten sich darauf, zu erörtern, inwiefern Darwin die wissenschaftlichen Kriterien erfüllt hat, sandten Reporter zu seinen Vorträgen und berichteten über seine für damalige Verhältnisse nahezu revolutionäre empirische Vorgangsweise. „Es ist sehr spannend zu beobachten, dass die Darwin-Rezeptionen beider Zeitungen sehr nahe beieinander liegen“, meinte Seethaler. Freilich spräche das auch dafür, dass nicht viel Meinungsspektrum zur Verfügung stand. Übrigens hätte selbst das katholische Leitmedium zunächst jegliche religiöse Kritik an der Evolutionstheorie zurückgewiesen: Das habe mit Wissenschaft nichts zu tun, Religion und Wissenschaft seien zwei Paar Schuhe.

Mit der Pressefreiheit 1867 brachten vor allem liberale Geschäftsleute dann aber die ersten Massenzeitungen mit „gigantischen Auflagen“ von 40.000 bis 50.000 Exemplaren auf den Markt. Diese mussten sich verkaufen, dementsprechend waren ihre Artikel geschrieben. Darwins wissenschaftliche Lehre wurde popularisiert und für alle möglichen Zwecke im aufkommenden Kulturkampf missbraucht: Abhandlungen über die Sittlichkeit, die Stellung der Frau, die Rolle von Instinkten, Börsengeschäfte und die Politik bezogen sich auf diese eigentlich rein wissenschaftliche Theorie. „In dieser Zeit war Polen von den Russen und Deutschen besetzt, und dies wurde so interpretiert, dass die Polen offenbar die schwächere ‚Rasse‘ sind“, sagte Seethaler. Mit Darwins Wissenschaft hätten diese teils skurrilen Banalinterpretationen freilich nichts mehr zu tun.

Die Immer-noch-Qualitätszeitungen „Vaterland“ und die von „Presse“-Redakteuren gegründete „Neue Freie Presse“ argumentierten weiterhin gemäßigt, konnten aber ohne Zensur ihre Weltanschauungen etwas deutlicher einfließen lassen, berichtete der Forscher. Als die konservativen Katholiken aber durch politische Veränderungen ins Hintertreffen geraten, begannen auch sie zu polarisieren.

Schließlich starb Darwin im April 1882, mittlerweile war es zum Beispiel in Russland zu einer Reihe von Pogromen gekommen, über die zufälligerweise auch an seinem Todestag berichtet wurde. „Auch die liberale Massenpresse steckte nun massiv zurück, griff auf einmal jene an, die den Darwinismus so breitgetreten hätten, und forderte, man müsse sich auf seine reine Lehre zurückbesinnen“, sagte Seethaler. Das passierte aber weniger, als dass er als Mensch mystifiziert wurde. Die Instrumentalisierung seiner Lehre wurde zwar zurückgefahren, dafür rückte seine Person in den Mittelpunkt, die nun über die Maßen verherrlicht wurde.

1909 - hundert Jahre nach seiner Geburt - war Darwin dann kein Aufreger mehr, erzählte der Medienforscher: „Die einzigen, die jetzt seine Fahne hochhielten, waren die neu dazugekommenen Sozialdemokraten, für die er zur Metapher des Fortschritts wurde“.

Aus Darwins Mediengeschichte könne man auch für heutige Verhältnisse lernen, so Seethaler, denn sie sei die Folge einer „sehr platten Popularisierung der Wissenschaft“. Viel besser als den Wissenschaftsbetrieb auf das Banalste hinunterzubrechen und der Bevölkerung über drei Ecken zu berichten sei, Laien selbst „partizipatorisch“ am wissenschaftlichen Arbeitsprozess teilhaben zu lassen.