Debatte um Strafen

Kritik am System: Sexualtäter kommen zu oft ungestraft davon

Stoppt sexuelle Gewalt: Verurteilungen als Abschreckung.
© iStock

Aussage gegen Aussage: Bei Sexualdelikten kommen sehr wenige Täter vor Gericht. Die Strafrecht-Expertin Katharina Beclin spricht von einem „prinzipiellen Problem“ im Justizsystem und fordert Maßnahmen.

Von Michaela S. Paulmichl

Innsbruck, Wien –Nach sexuellen Übergriffen werden häufig Rufe nach strengeren Maßnahmen laut. „Nicht selten ist die Empörung über die vermeintlich zu geringe Strafhöhe groß“, meint Katharina Beclin vom Institut für Strafrecht und Kriminologie an der Universität Wien. Dabei ist die Strafhöhe – zumindest, was die abschreckende Wirkung betrifft – für sie nicht von „allzu großer Bedeutung“. „Es geht in erster Linie darum, mit welcher Wahrscheinlichkeit es überhaupt zu einer Anzeige kommt und wie oft eine Anzeige letztendlich eine strafrechtliche Sanktion zur Folge hat.“ Doch genau darin liegt für die Assistenzprofessorin das „prinzipielle Problem“.

„Wenn Aussage gegen Aussage steht, nützt auch eine höhere Strafandrohung nichts! In den meisten Fällen streitet der Angeklagte alles ab.“ Natürlich gelte „in dubio pro reo“, im Zweifel für den Angeklagten, aber hier mache man es sich doch zu leicht. Die Juristin kritisiert, dass Verfahren häufig eingestellt würden, ohne vorher den Sachverhalt genau abzuklären: „Es beginnt schon bei der Einvernahme. In der Regel werden die Befragungen von der Polizei durchgeführt, oft werden aber nur Zusammenfassungen getippt, ohne genauen Wortlaut, die nur wenig aussagen.“ Das sei früher in Ordnung gewesen, als es in Österreich noch Untersuchungsrichter gab. Soll sich etwas ändern, müssten zuvor die Staatsanwaltschaften, die diese Aufgabe mitübernommen hätten, besser besetzt werden.

Folge sei jedenfalls, „dass Richter zu wenige Unterlagen und damit zu wenig Einblick bekommen“, verweist Beclin auf Aussagen Betroffener. Es komme immer wieder vor, dass sich der Sachverhalt letztlich anders darstellt. Die Beteiligten würden zu wenig geprüft, und dass Täter oft kein zweites Mal vernommen werden, sei Standard. Auch wenn die Chancen wohl schlecht stehen: „Ich wäre dafür, die U-Richter-Regelung wieder einzuführen. Eine wechselseitige Kontrolle zwischen U-Richter und Staatsanwaltschaft ist sinnvoll.“

Die Juristin stellt auch zur Diskussion, jede unangemessene Berührung als Straftat einzustufen und verspricht sich viel von der geplanten Evaluierung der Straftatbestände nach Paragraf 218, der Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung und Belästigung. Der frühere Nationalratsabgeordnete Albert Steinhauser (Grüne) hatte den Antrag auf Vorverlegung der Beurteilung gestellt. Als Grund gab er an, dass gerade im Bereich der sexuellen Gewalt die staatsanwaltliche Verfolgungspraxis immer wieder auf Unverständnis stoße. Der Antrag wurde einstimmig beschlossen.

2015 wurden 782 Personen nach §218 angezeigt, es gab 105 Verurteilungen. Ein Jahr darauf, nach der Erweiterung des Paragrafen durch den Zusatz, dass auch die „intensive Berührung einer der Geschlechtssphäre zuzuordnenden Körperstelle“ strafbar ist, gab es 1377 Anzeigen und 138 Verurteilungen. Diversionelle Regelungen werden nicht erfasst, Beclin schätzt ihre Zahl aber als „mindestens so hoch“ ein wie die Anzahl der Verurteilungen.

In einer Stellungnahme des Justizministeriums heißt es nur, dass die Gerichte selbstverständlich nur in jenen Fällen eine Verurteilung aussprechen könnten, in denen die Beweislage ausreichend ist. Auf die Frage, ob die Strafverfolgung nicht effektiv genug sei, gab es keine Antwort. Immerhin wird aber eingeräumt, dass „die Beweissituation gerade im Bereich der Sexualstraftaten tatsächlich oft schwierig ist“. Was Änderungen der derzeitigen Rechtslage betrifft, wird auf den künftigen Gesetzgeber verwiesen.

Verwandte Themen