„Tiere“: Ein Verwirr- und Vexierspiel in den Schweizer Alpen
Wien (APA) - Ein Ehepaar auf dem Weg in die Schweizer Alpen, ein Schaf auf der Straße. „Tiere“ von Greg Zglinski beginnt wie ein Beziehungsd...
Wien (APA) - Ein Ehepaar auf dem Weg in die Schweizer Alpen, ein Schaf auf der Straße. „Tiere“ von Greg Zglinski beginnt wie ein Beziehungsdrama, durchbricht aber bald bewusst erzählerische Konventionen. In einem Panoptikum der Wahnvorstellungen resultiert die Umsetzung eines Drehbuchs von Jörg Kalt, jedoch ohne zu berühren. Am Freitag kommt der mit österreichischer Starbesetzung gedrehte Film ins Kino.
„Schaf!“, schreit Anna (Birgit Minichmayr), um ihren Mann Nick (Philipp Hochmair) vor einem Tier auf der Fahrbahn zu warnen. Aber dieser reagiert nicht, verkürzt sich das Ehepaar doch durch das Spiel „Tiere raten“ die Fahrt: Sie seien beim Buchstaben T und nicht S, also wieso Schaf? Der Frontalzusammenstoß mit dem Tier geht glimpflich aus: Obwohl Anna ihren Sicherheitsgurt gelöst hat, kommt sie mit einer leichten Kopfverletzung davon.
Die Kinderbuchautorin und der Koch sind auf dem Weg in die Schweizer Alpen: Er, um Rezepte zu sammeln, sie, um an ihrem ersten Buch für Erwachsene zu schreiben. Von einer Frau, die ihren Mann umbringt, soll es handeln. Die Schlüssel ihrer Wiener Wohnung haben sie der lebenslustigen Mediävistin Mischa (Mona Petri) übergeben, die in ihrer sechsmonatigen Abwesenheit darin wohnen wird: „Bitte nicht in unserem Bett schlafen.“ Mischa ähnelt der Nachbarin Andrea, mit der Nick eine Affäre hat.
Minichmayr spielt eine kalte Frau mit maskenhaftem Antlitz, lieblos ist der Umgang der beiden miteinander. Hochmair wirkt als überheblicher Küchenchef im Vergleich zu Anna vital, man kann es ihm fast nicht verdenken, dass er sich einer anderen Frau zuwendet. Und so scheinen Nick und Anna von der ersten Einstellung an nicht in derselben Realität zu leben. Eine Beziehung, die sich nur durch Lügen aufrechterhält, wäre wohl schon Grund genug, um den Verstand zu verlieren, aber nach Annas kurzem Aufenthalt im Krankenhaus, ist doch einiges anders: Ihre Wahrnehmung lässt sich gar nicht mehr mit jener von Nick in Einklang bringen. „Sag‘, spinnst du?“, fragt dieser. „Ja, ich spinn‘“, antwortet Anna. Doch bald ist nicht mehr so klar, wer hier durchdreht.
Was wie ein konventionelles Beziehungsdrama beginnt, entwickelt sich zu einem Verwirrspiel, das dem Zuseher den naiven Glauben an eine in sich geschlossene filmische Realität nimmt. Die Handlung bleibt auf Nicks Ausflüchte und Annas Paranoia beschränkt, doch der Reigen an Irritationen nimmt zu, bis er die Frequenz des Flügelschlags eines selbstmörderischen Vogels erreicht, der in die gemietete Alphütte flattert.
Kinematografische Effekte wie Farbfilter, über Spiegel gefilmte Szenen, symbolhaft versperrte Räume, Mordfantasien, zum Verwechseln ähnliche rotblonde Frauen (gespielt von Mona Petri) und eine schwarze Katze, die mit verführerischer Stimme „Tu dois te venger!“ flüstert, setzt der 1968 in Warschau geborene Kieslowski-Schüler Zglinski ein, um sein Panoptikum der Wahnvorstellungen aufzuspannen.
Wer stellt sich wessen Existenz vor? Oder stellt er oder sie sich jemanden vor, der sich wiederum etwas Anderes vorstellt? Was ist wahr? Wer ist wirklich existent? In wessen Kopf findet dieser Film statt?, sind die Fragen, die der Regisseur stellt. Er arbeitet laut Regiestatement mit der Logik eines Traumes, der gängige Wahrnehmungsempfinden umgeht.
„Tiere“ wirkt jedoch nicht angsteinflößend, daran ändert auch das bedrückende Sounddesign von Laurent Jespersen nichts, zu sehr erschweren die schablonenhaften Charaktere die Identifizierung mit den Hauptfiguren. Erfrischend ist hingegen das Spiel der Nebendarsteller: Michael Ostrowski taucht als liebenswert-chaotischer Florist Harald auf, der seine Exfreundin Andrea sucht, ein Lichtblick an Menschlichkeit auch Mehdi Nebbou in der Rolle des Arztes Tarek.
Die Spannung des Films entsteht bei der detektivischen Suche nach dem roten Faden im Labyrinth der Gehirnwindungen - die allerdings aussichtslos ist. Zglinski konstruiert, um gleich wieder zu zersplittern. Erweckt die Handlung anfangs noch den Anschein, parallel in Wien und der Schweiz zu spielen, stellt sich dies als vereinfachende Interpretation des Zusehers heraus, mit der er sich im Film zu orientieren versucht.
Für „Tiere“ hat der in der Schweiz aufgewachsene Pole Zglinski ein Drehbuch von Jörg Kalt adaptiert, der sich 2007 das Leben genommen hatte, und somit dessen unvollendetes Filmprojekt realisiert. Das Resultat erinnert in Stimmung und Alinearität an „Holy Motors“ von Leos Carax (2012), nach der Auflösung des Dramas bleibt jedoch aufgrund der menschlichen Leere das unbefriedigende Gefühl zurück, einen Werbefilm für die Schweiz gesehen zu haben. Ein besonderer Film, kein besonders überzeugender.
(S E R V I C E - http://verleih.polyfilm.at/tiere/)