Film und TV

Eine Metapher für die ideale Gesellschaft

© Filmladen

Ruben Östlunds mit der Goldenen Palme ausgezeichneter Film „The Square“ beschert uns das beglückendste Kinoerlebnis des Jahres.

Von Peter Angerer

Innsbruck –Passanten hasten aus einem U-Bahn-Schacht zu ihren Arbeitsplätzen. Manche überprüfen die Displays ihrer Handys und übersehen den Mann, der am Straßenrand liegt. Eine junge Frau stellt sich in den Menschenstrom. „Möchten Sie heute ein Menschenleben retten?“, fragt sie freundlich. „Jetzt nicht!“, ist immerhin eine Reaktion auf die Einladung. Einer der Passanten ist Christian (Claes Bang), an den sich ein paar Meter weiter eine Frau in Todesangst klammert. Ein Mann droht sie umzubringen. Ein anderer Passant ist couragierter, stellt sich dem Verfolger in den Weg. Kaum hat sich die Situation beruhigt, spürt Christian noch immer das Adrenalin durch seinen Körper schießen. Ein solches Erlebnis muss verarbeitet und geteilt werden, wofür besitzt man sonst ein Handy? Aber Telefon, Brieftasche, sogar die wertvollen Manschettenknöpfe des Großvaters sind verschwunden, Christian ist das Opfer von Trickdieben geworden. Unsereins würde jetzt Kredit- und Kontokarte sperren lassen, eventuell den Diebstahl anzeigen, um sich vor Schaden zu schützen, aber Christian kann als Kurator des Stockholmer Kunstmuseums auf eine IT-Abteilung zugreifen, die bald die Signale des Handys lokalisiert hat. Allerdings kommen an dieser Adresse 50 Mieter als Täter in Frage. Mit einem eindeutigen Brief fordert Christian erfolgreich sein Eigentum zurück, aber 49 Unschuldige werden zu Unrecht eines Diebstahls bezichtigt.

Bereits vor drei Jahren gewann der Schwede Ruben Östlund mit seinem surrealen Psychothriller „Höhere Gewalt“ über einen Mann, der sich plötzlich als jämmerlicher Feigling erkennen muss, in Cannes in der Reihe Un Certain Regard den Jurypreis. Mit „The Square“ eroberte Östlund dieses Jahr die Goldene Palme und in diesem zu Ende gehenden Kinojahr lässt sich schon mit einiger Sicherheit behaupten, „The Square“ beschert uns das beglückendste Filmerlebnis des Jahres. Ähnliche Erfahrungen waren zuletzt mit Paolo Sorrentinos „La Grande Bellezza“ über Kunst und Leben im Schatten einer heillos überforderten Welt zu machen.

In seinem Museum arbeitet Christian an der großen Metapher für unsere Zeit. „The Square“, das Projekt einer Konzeptkünstlerin, soll „ähnlich dem Zebrastreifen“ für eine Schutzzone in unserer Gesellschaft stehen. Wer dieses „Quadrat“ betritt, soll Hilfe geben oder bei Bedarf erhalten, vielleicht findet das Kunstprojekt über Miss- und Vertrauen irgendwann in größerem Maßstab außerhalb des musealen Raums eine Anwendung. Doch diese Inszenierungen im öffentlichen Raum existieren längst. Bettler knien mit gefalteten Händen auf kleinen Kartonstücken vor leuchtenden Konsumtempeln, aber Bedeutung erlangen solche Inszenierungen, die auf Mitleid und Münzen ausgerichtet sind, nur im Museum. Doch nicht alles verwandelt sich in Kunst. Die feinen Nuancen bei der Metamorphose profanen Materials versucht Christian der amerikanischen Journalistin Anne (Elisabeth Moss) zu erklären. Wie sich Bedeutungsebenen verschieben können, zeigt Östlund nach dem anschließenden One-Night-Stand, wenn Kunstmanager und Journalistin um das zu entsorgende Kondom kämpfen. Auch das Bett ist ein Quadrat, in dem es um Vertrauen geht. Da hat sich Christian im Labyrinth seiner Kunstwelt aber schon verirrt. Öffentlicher und musealer Raum geraten durcheinander, der Skandal im privilegierten Milieu ist nicht mehr aufzuhalten.

Die Kunstinstallation „The Square“ entwarf Ruben Östlund mit Kalle Boman, der hauptsächlich mit dem Regisseur Roy Andersson arbeitet, schon 2014 für das südschwedische Vandalorum Museum als Ideal einer Gesellschaft.

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