Berlins Sonderermittler zu Weihnachtsmarktattentat bekräftigt Kritik

Berlin (APA/AFP) - Eine Reihe struktureller Schwächen und Fehleinschätzungen der Berliner Sicherheitsbehörden hat den Anschlag auf den Berli...

Berlin (APA/AFP) - Eine Reihe struktureller Schwächen und Fehleinschätzungen der Berliner Sicherheitsbehörden hat den Anschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt zumindest begünstigt. Zu diesem Schluss kam am Freitag Berlins Sonderbeauftragter zur Aufarbeitung des Attentats, Bruno Jost, vor dem Untersuchungsausschuss des Abgeordnetenhauses.

Der frühere Bundesanwalt zeigte sich dabei wiederholt verwundert über das Vorgehen der für den späteren Attentäter Anis Amri zuständigen Ermittler. Bei der Befragung Josts zu seinem Mitte Oktober vorgestellten Abschlussbericht stand entsprechend dem Auftrag des Berliner Senats an Jost das Verhalten der Berliner Behörden im Mittelpunkt. Jost warf den Landeskriminalämtern (LKA) von Berlin und Nordrhein-Westfalen insbesondere vor, untätig geblieben zu sein, als der ihnen als Gefährder bekannte Amri viereinhalb Monate vor dem Anschlag in Friedrichshafen festgenommen wurde.

Der Tunesier Amri war am 30. Juli nach einem Hinweis des Berliner LKA an der Ausreise gehindert und zwei Tage lang festgehalten worden. Amri hatte sich mit einem gefälschten Dokument ausgewiesen, einen weiteren falschen Ausweis in seiner Kleidung eingenäht gehabt und gegen das Aufenthaltsrecht verstoßen. Angesichts der eindeutigen Beweise sei der Erlass eines Haftbefehls „in Reichweite“ gewesen, sagte Jost.

Allerdings unterließen es die beiden für Amri zuständigen Landeskriminalämter, ihre Kollegen in Baden-Württemberg über Amris Gefährlichkeit aufzuklären. „Das hätte einen Korridor geschaffen, um in Nordrhein-Westfalen eine Abschiebung zu forcieren“, sagte Jost über den verpassten Haftbefehl. Er attestierte „eine kaum verständliche Kette von Versäumnissen.“

Ebenso wenig Verständnis zeigte Jost für die Arbeit der für Staatsschutz zuständigen Abteilung 5 des Berliner LKA. So war die Observierung Amris schon am 15. Juni eingestellt worden, obwohl die Generalstaatsanwaltschaft eine Genehmigung bis Ende September erwirkt hatte. „Warum die Observierung eingestellt worden ist, ist mir bis heute nicht ganz klar geworden“, sagte Jost. Der 68-Jährige konnte auch nicht herausfinden, wer dies entschieden hatte.

Ferner warf Jost den Staatsschützern vor, die Observierungsteams nicht über ihr Interesse an Amris Drogengeschäften informiert zu haben. „Die linke Hand wusste nicht, was die rechte wusste.“ Zudem sei es versäumt worden, Erkenntnisse über Amris intensiven Drogenhandel fristgerecht in einem Bericht zusammenzufassen, der weitere Ermittlungen ermöglicht hätte. So aber sei Amri im Herbst gänzlich vom Radar verschwunden.

Jost zeigte auf Nachfrage der Abgeordneten auch Unverständnis über die Priorität Amris bei den Berliner Sicherheitsbehörden. „Es wurde kaum jemand so intensiv im GTAZ besprochen wie Amri“, zitierte Jost eine Quelle im Gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrum (GTAZ). Dennoch erklärte das Berliner LKA den Umgang mit Amri auch damit, dass er nicht höchste Priorität unter den Gefährdern gehabt habe.

Jost wurde im Ausschuss auch wiederholt dazu befragt, welche Erkenntnisse zu Amri dem Bundesnachrichtendienst und den Verfassungsschutzämtern vorgelegen hatten. „Ich habe in meinem Berufsleben sehr viel mit Nachrichtendiensten zu tun gehabt - das hat mich wirklich überrascht, dass nichts vorhanden war“, sagte Jost. „Es war nichts da - oder mir wurde jedenfalls nichts gesagt.“