Details oder Vertrauen - Die Krux der Jamaika-Sondierer

Berlin (APA/Reuters) - Als der französische Wirtschafts- und Finanzminister Bruno Le Maire am Mittwoch in Berlin die Tour bei den Spitzen de...

Berlin (APA/Reuters) - Als der französische Wirtschafts- und Finanzminister Bruno Le Maire am Mittwoch in Berlin die Tour bei den Spitzen der Jamaika-Sondierer machte, hatte er vor allem ein zentrales Anliegen. „Wir hoffen wirklich, dass es in dem Koalitionsvertrag auch Raum für Verhandlungen geben wird“, fasste er seine Bitte an die Parteichefs von FDP und Grünen und auch die CDU-Politiker Jens Spahn und Peter Altmaier zusammen.

Denn mit Sorge betrachten die europäischen Nachbarn, dass die ungleichen Partner einer möglichen Jamaika-Koalition in eine Falle laufen könnten - nämlich zu genaue Festlegungen auf die gemeinsame Politik. Damit könnten sie der neuen deutschen Regierung zu enge Fesseln anlegen für Kompromisse in Europa. Auch in der Innenpolitik droht eine Selbstblockade durch zu viele Details.

Ohnehin haben deutsche Parteien die Angewohnheit, von Koalition zu Koalition immer kleinteiligere Programme für die gemeinsamen vier Jahre Arbeit zu beschließen. Allein der Koalitionsvertrag der Großen Koalition von 2013 bis 2017 umfasste 185 Seiten. Das könnten CDU, CSU, FDP und Grüne noch toppen. „Wir brauchen in einem möglichen Koalitionsvertrag mit Jamaika eine deutlich höhere Detailtiefe als das bei der Großen Koalition der Fall war“, forderte etwa CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt schon Anfang Oktober im Reuters-Interview. Die Unterschiede zwischen den Parteien seien so groß wie nie. „Also müssen die Vereinbarungen tiefer sein.“

Im Prinzip wird diese Einstellung von den meisten Sondierern geteilt. „Jeder möchte doch die Sicherheit haben, dass die für seine Anhängerschaft wichtigen Punkte auch wirklich umgesetzt werden“, beschreibt ein Grünen-Unterhändler die Lage. Allerdings zeigt sich immer stärker, dass auch Angst ein treibendes Motiv für die gewünschte Detailtiefe ist. Denn im Umkehrschluss kann nicht Jamaika-Politik werden, was nicht einvernehmlich in einem gemeinsamen Arbeitspapier verankert ist.

Die Krux dabei: Im komplizierten deutschen politischen System kann eine Vorfestlegung schnell Lähmung bedeuten. Denn es vermischen sich die verschiedenen politische Ebenen. So hat die Regionalpartei CSU als kleinster Partner darauf gepocht, zuerst mit der CDU eine gemeinsame Position in der Migrations- und Flüchtlingspolitik festzulegen. Die Folge: Den sogenannten „Migrations-Pakt“ der Union bezeichnet die CSU nun in den Sondierungen als nicht mehr verhandelbar, weil sie ja schon Zugeständnisse an die CDU gemacht habe. Dies sorgt nun für offenen Ärger bei Grünen und FDP. „Damit unterläuft die CSU das Grundprinzip von Gesprächen, in denen alle Kompromisse fordern und machen müssen“, ätzt ein Grünen-Politiker.

Dasselbe Problem droht in der Europa-, möglicherweise auch in der Klima- und Außenpolitik. Denn die eigentlichen Verhandlungen über die EU-Politik fänden in Brüssel und nicht in Berlin statt, mahnen auch Vertreter der EU-Kommission. „Und auch die Deutschen wissen noch gar nicht, wohin die EU-Debatte am Ende überhaupt gehen wird“, meint ein französischer Diplomat.

Doch anstatt die europäische Diskussion abzuwarten, kämpfen die Jamaika-Sondierer um jede Formulierung. So sind sie sich einig, dass sie das vom französischen Präsidenten Emmanuel Macron vorgeschlagene Eurozonen-Budget nicht wollen. Aber auf Wunsch auch von Bundeskanzlerin Angela Merkel wurde diese Festlegung im ersten Europa-Papier der Jamaika-Sondierungen gestrichen.

In einem zweiten Papier schlugen die Europa-Experten der vier Parteien dann eine salomonische Formulierung vor, die den Sorgen der FDP vor einer Schuldenunion Rechnung tragen sollte: „Notwendig ist eine angemessene Fähigkeit zu Investitionen und zur Abfederung asymmetrischer Wirtschafts-Schocks durch Mitgliedstaaten und EU; die Einführung von Instrumenten zu automatischen Transfers oder Schuldenvergemeinschaftung unterstützen wir nicht.“ Mit eckigen Klammern war der Ausdruck „ein separates Eurozonen-Budget“ als umstritten gekennzeichnet.

Diese Formulierung hätte der neuen Regierung wenigstens den Freiraum gegeben, je nach Entwicklung in der EU in engem Rahmen verschiedene Modelle für mehr Investitionen zu diskutieren. Doch die Spitzen von FDP und Union stoppten auch diese Passage wieder - auch weil die Liberalen eine zu große Freiheit für Merkel in den kommenden EU-Verhandlungen fürchten.

Hintergrund dafür sind negative Erinnerungen, die die Liberalen mit den Koalitionsverhandlungen 2009 mit CDU und CSU verbinden. Damals wurden umstrittene FDP-Vorhaben wie eine Steuerreform einfach als „Prüfaufträge“ im Koalitionsvertrag verankert. Am Ende der Legislaturperiode beklagte die FDP, dass es bei fast allen ihren Projekten bei der Prüfung geblieben sei.

Doch angesichts der schwierigen Jamaika-Sondierungen warnt etwa der schleswig-holsteinische Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) nun vor zu engen Festlegungen. Seine eigene Jamaika-Koalition in Kiel sei nur zustande gekommen, weil man zwar Kernprojekte der drei Parteien vereinbart habe - ansonsten aber eine möglichst offene, knappe Koalitionsabsprache gewählt habe. Für ein erfolgreiches Bündnis über mehrere Jahre sei ohnehin das Vertrauen wichtiger, dass Union, FDP und Grüne kommende Probleme gemeinsam und nicht in Gegnerschaft lösten, mahnt er. Schriftliche Festlegungen helfen dabei nicht.