Weiterhin Rätselraten um Hariris Schicksal
Beirut/Riad (APA/Reuters) - Auch mehr als eine Woche nach dem erklärten Rücktritt des libanesischen Präsidenten Saad al-Hariri herrschte am ...
Beirut/Riad (APA/Reuters) - Auch mehr als eine Woche nach dem erklärten Rücktritt des libanesischen Präsidenten Saad al-Hariri herrschte am Sonntag weiterhin Rätselraten über dessen Schicksal in Saudi-Arabien. Hariri hat sich seit seinem Rücktritt während eines Besuchs in Riad am Samstag vor einer Woche nicht öffentlich geäußert.
Vertraute Hariris gehen davon aus, dass der Ministerpräsident von den Saudis als seinen langjährigen Verbündeten zum Rücktritt gezwungen wurde, weil er nicht gegen die im Libanon mitregierende Hisbollah vorgehen wollte. Die schiitische Bewegung verfügt zugleich über schwer bewaffnete Kampfverbände und wird vom Iran unterstützt, mit dem das sunnitische Saudi-Arabien um die Vorherrschaft in der Region ringt.
Auch seine Familie, die ihr Vermögen im Baugeschäft in Saudi-Arabien gemacht hat, hat nicht erkennen lassen, wann Hariri in den Libanon zurückkehren wird. Familienmitglieder und Vertraute Hariris sagten, der Ministerpräsident wirke sehr wortkarg und zurückhaltend, wenn man ihn in Riad kontaktiere. Er sage kaum etwas außer „Ich bin in Ordnung“. Auf die Frage, ob er zurückkehren werde, antworte er gewöhnlich: „Inshallah“ (So Gott will).
Dem Ministerpräsidenten war offenbar schon bei der Landung in Saudi-Arabien klar, dass etwas nicht stimmt. Anders als üblich sei er nicht von einer Reihe saudischer Prinzen und Ministerialbeamter empfangen worden, berichteten Vertraute Hariris und Mitglieder des libanesischen Regierungs- und Sicherheitsapparats. Hariris Mobiltelefon sei konfisziert worden. Später habe man ihm den Text seiner Rücktrittsrede vorgelegt, die er im Fernsehen habe verlesen müssen. Hariri sei ursprünglich auf saudischen Wunsch hin nach Riad geflogen. Vor dem Abflug habe er seinem Team noch mitgeteilt, dass man sich in einigen Tagen wiedersehen werde.
Nur ein paar Tage vor der Rücktrittserklärung sei Hariri schon einmal in Saudi-Arabien gewesen, wo seine Familie mehrere Anwesen besitzt. Kronprinz Mohammed bin Salman habe damals für ihn ein Treffen mit hochrangigen saudischen Geheimdienst-Vertretern und dem für den Libanon zuständigen Minister Thamer al-Sabhan arrangiert, hieß es bei seinen Vertrauten. Hariri sei von dieser Reise gut gelaunt zurückgekommen. Er habe das Gefühl gehabt, die Saudis davon überzeugt zu haben, dass man um der Stabilität des Libanon willen an dem Bündnis mit der Hisbollah festhalten müsse.
„Ich glaube, ihnen (den Saudis) hat nicht gefallen, was sie hörten“, sagte ein Vertrauter Hariris. Der Ministerpräsident habe die Position der Saudis gegenüber der Hisbollah offenbar unterschätzt. „Für die Saudis ist es ein existenzieller Kampf. Es ist schwarz und weiß. Wir im Libanon sind Grautöne gewöhnt.“
Der Libanon gilt wegen seiner Mischung von Volksgruppen und Religionen, der Einflussnahme ausländischer Staaten und der großen Zahl von Flüchtlingen im Land als sehr fragil. Die obersten Ämter sind an bestimmte Religionszugehörigkeiten gebunden: Der Präsident muss maronitischer Christ sein, der Ministerpräsident ein Sunnit und der Parlamentspräsident ein Schiit.
Saudi-Arabien hoffe nun darauf, Hariri durch seinen älteren Bruder Bahaa als höchsten sunnitischen Beamten zu ersetzen, hieß es in libanesischen Regierungskreisen. Es wird vermutet, dass sich Bahaa in Saudi-Arabien aufhält. Mehrere Mitglieder der Hariri-Familie seien aufgefordert worden, dorthin zu reisen, um ihm ihre Gefolgschaft zu versichern. Sie hätten sich jedoch geweigert. Bahaa war in der Nachfolge übergangen worden, nachdem der Vater der Brüder, Rafik al-Hariri, 2005 bei einem Anschlag in Beirut getötet worden war. Die Brüder sind seit Jahren zerstritten. Saudi-Arabien bestreitet die Vorwürfe und erklärt, Hariri sei ein freier Mann.
Der libanesische Präsident Michel Aoun verlangte von Saudi-Arabien Auskunft darüber, weshalb Hariri nach seinem Rücktritt unter mysteriösen Umständen in Riad nicht in sein Heimatland zurückkehrt. Hariris Äußerungen und Handlungen könnten nicht als echt betrachtet werden, solange Fragen über seine Lage offen blieben, erklärte Aoun am Samstag in Beirut.
Das US-Präsidialamt erklärte am Samstag, es lehne jegliche Bestrebungen von Milizen innerhalb des Libanon oder Kräften außerhalb des Landes ab, die die Stabilität des Libanon bedrohten. Dies gelte auch für Bemühungen, den Libanon als Basis für die Bedrohung anderer in der Region zu nutzen. Aoun erklärte gegenüber ausländischen Botschaftern, Hariri sei entführt worden, wie Reuters aus Regierungskreisen in Beirut erfuhr.