Gefressenwerden, ein Kinderspiel: Eva Kotatkova im 21er Haus

Wien (APA) - Kinder sind grausam. Sie sind nüchtern und unerschrocken, mehr neugierig als mitfühlend. Und sie sind manipulierbar. In einer u...

Wien (APA) - Kinder sind grausam. Sie sind nüchtern und unerschrocken, mehr neugierig als mitfühlend. Und sie sind manipulierbar. In einer ungewöhnlichen Filmarbeit entwirft die Bildhauerin Eva Kotatkova eine intensive, sprachgewaltige und humorvolle Parabel auf Mechanismen des Fressens und Gefressenwerdens, von Erziehung und Einweisung, von Welt und Subjekt. Ab morgen, Mittwoch, ist sie im 21er Haus zu sehen.

Sie halte Kotatkova „für eine Ausnahmekünstlerin“, betonte Belvedere-Direktorin Stella Rollig bei der heutigen Pressekonferenz. Denn die tschechische Bildhauerin (Jahrgang 1982), die sich durch und durch am Theatralen und Performativen orientiert, schwimmt thematisch gegen den Strom ihrer Generation, kehrt zurück zu Fragen der menschlichen Psyche, zu inneren und äußeren Zwängen, zum Wechselspiel von Institution und Individuum. „Ein Diskurs, wie wir ihn aus den 80ern kennen.“ Aber sie tut es mit Mitteln, die so ganz anders sind. Der Film „Stomach of the World“, der im Zentrum der Ausstellung steht, wählt den Blickwinkel des Kindes. Er dauert 46 Minuten, ist langsam, redundant - und spannend wie ein Thriller.

Eine Gruppe von Kindern, vielleicht Vorschüler, in einem großen, etwas abgewetzten Turnsaal. Fischgrätböden. Sprossenleitern. Ein stummes Setting, indem die Gruppe Übungen absolviert. Eine Stimme erklärt sie, philosophiert dazu, aus dem Off. Die erste: Sie sollen eine Röntgenaufnahme ihres Körpers zeichnen. Später beobachten sie in einem Schaukasten, wie der aufgeschnittene Magen einer Puppe über und über mit Inhalt befüllt wird. Sie basteln eine riesige Schlange und werden Kind um Kind von ihr gefressen. Sie müssen einen Ausgang finden aus dem Schlangenkörper. Sie hängen sich im Garten kopfüber auf Reckstangen „um ihre Organe zu ordnen“. Sie spielen Epidemie bis keiner mehr lebt. Sie werden zu Dingen und erwecken sich wieder zum Leben.

Das ist alles ziemlich seltsam. Die sonore Männerstimme und ihr Text ist immer wieder recht lustig, der Hauch von Erziehungsanstalt und Menschenexperiment schaurig, die Ästhetik der Aufnahmen etwas trüb - mit einem untrüglichen Gespür für Räume, Felder, Geometrie. Aber Übung um Übung, Kindergesicht um Kindergesicht, geht der Film unter die Haut. Konstruiert und dekonstruiert Gruppendynamik, Kindlichkeit als Zustand größter Unschuld und gewissenlosester Gemeinheit und die psychologisch wirksame Imagination der Welt als Körper, als Magen, als Anhäufung von Dingen, von Verspeistem und Vernichtetem.

Rund um den Film hat Kotatkova ihre selbstgebauten Requisiten ausgestellt, den Kopf der riesigen Schlange oder den Kinderpullover, in dessen Baum ein großes Loch geschnitten ist. Eine Installation, wie sie in der zeitgenössischen Kunst keine Seltenheit hätte - Überbleibsel und Beweisstücke eines konzeptuellen Gedankenexperiments, an dem der Künstler eingeweihte und mitverschworene Ausstellungsbesucher gnädig teilhaben lässt. Kotatkova macht es anders. Kinder sind es, die ihre Gedanken auf die Probe stellen, die - auf Augenhöhe mit der Künstlerin - das Werk erschaffen und seine komplexen, diskursiven Bedeutungen gleichsam systematisch erspielen. Einmal in der Stunde beginnt der Loop des Films von neuem.

(S E R V I C E - Eva Kotatkova: Stomach of the World, 15. November bis 18. Februar 2018, 21er Haus, Belvedere. www.21erhaus.at)