Flüchtlinge - EU-Politik in Libyen für Experte Knaus „katastrophal“
Wien (APA) - Nach Kritik der UNO an der EU-Politik in Libyen hat auch der österreichische Flüchtlingsexperte Gerald Knaus diese heftig kriti...
Wien (APA) - Nach Kritik der UNO an der EU-Politik in Libyen hat auch der österreichische Flüchtlingsexperte Gerald Knaus diese heftig kritisiert. Sie sei „in zweierlei Hinsicht Katastrophe“, sagte der „Erfinder“ des EU-Flüchtlingsdeals mit der Türkei, Gerald Knaus, am Mittwoch im APA-Interview. Die Debatte über Migration müsse realistischer und weniger emotional geführt werden, forderte er.
Die derzeitige „Lösung“ sei aufgrund der Machtverhältnisse im krisengebeutelten Libyen „extrem instabil“, zudem seien die Zustände in den Lagern, in die Geflüchtete gebracht werden, „katastrophal“, erklärte Knaus. Erst am Dienstag hatte der UNO-Menschenrechtskommissar Zeid Ra‘ad al-Hussein die Umstände, unter denen Flüchtlinge in dem nordafrikanischen Land leben müssen, als „grausam“ bezeichnet, die EU-Politik als „unmenschlich“. „Das kann keine europäische Lösung sein“, so Knaus. „Das Modell, das wir jetzt haben, genügt weder unseren moralischen Ansprüchen, noch ist es praktisch oder effizient.“
Obwohl die EU seit zwei Jahren intensiv über Migration diskutiere, stünden zwei zentrale Grundfragen weiter nicht im Mittelpunkt: „Wie schaffen wir es, Asylanträge fair, schnell und einfach zu bearbeiten und wie können jene, die keinen Schutz benötigen, schnell in ihre Heimat zurückgebracht werden?“ Solange man diesen Fragen aus dem Weg gehe, „drehen wir uns im Kreis“, so Knaus.
Derzeit seien die Debatten „extrem ideologisch aufgeladen, teilweise populistisch und emotional - weil das ein Thema ist, mit dem man Wahlen gewinnen oder verlieren kann“, urteilte er. Alles drehe sich um „kurzfristige Scheinlösungen, die zum Teil nicht durchdacht sind“. Insofern sei Europa ein „Wunderland“, weil die Diskussionen „extrem stark polarisieren, gleichzeitig aber die wirklich wichtigen Fragen nicht besprochen werden“.
Europa habe derzeit „keines der Instrumente, die es bräuchte“, betonte der Leiter des Think Tanks „Europäische Stabilitätsinitiative“ (ESI). Einige der Schlüsselbereiche im Bereich Migrationspolitik würden „heute so wenig wie vor drei Jahren funktionieren“. So hat laut Knaus das EU-Programm zur Umsiedelung (Relocation) „wenig bewirkt“, die Asylverfahren in Erstankunftsländern würden „unendlich lange“ dauern, die Rückführungspolitik sei ineffizient und einheitliche Grundstandards für Aufnahmezentren von Asylsuchenden konnten nicht durchgesetzt werden. Und das Dublin-System (laut dem der Staat, in dem der Flüchtling erstmals europäischen Boden betreten hat, für die Abwicklung des Asylverfahrens zuständig ist, Anm.) habe „in 20 Jahren nie wirklich funktioniert“, kritisiert der Experte.
Der Vorarlberger, der 2016 das Flüchtlingsabkommen der EU mit der Türkei initiiert hatte, forderte deshalb eine „realistischere“ Auseinandersetzung mit dem Thema, in der über konkrete Instrumente diskutiert wird. Dann könne auch der EU-Türkei-Deal, der zunächst aber noch vollständig umgesetzt werden müsse, durchaus als Vorbild für die zentrale Mittelmeerroute dienen, so Knaus. Eines sei aber klar: Als Partnerländer müssten dann die Herkunftsländer fungieren und nicht das im Chaos gekennzeichnete Libyen, das keine funktionsfähige Regierung hat.
(Das Interview führte Christina Schwaha/APA.)