Marschmüdigkeit in Macrons Bewegung

Paris (APA/AFP) - Vom politischen Start-up zur Regierungspartei mit breiter Mehrheit in der Nationalversammlung: Die junge Gruppierung um de...

Paris (APA/AFP) - Vom politischen Start-up zur Regierungspartei mit breiter Mehrheit in der Nationalversammlung: Die junge Gruppierung um den französischen Präsidenten Emmanuel Macron ist seit ihrer Gründung vor 18 Monaten von einem Erfolg zum nächsten geeilt. Doch vor dem ersten Kongress von La Republique en Marche (LREM) am Samstag machen Austritte und eine Protestnote ehemaliger Aktivisten von sich reden.

Was bemängeln die Rebellen?

In einem anonymen Protestbrief beklagen „100 Demokraten“ autoritäre Strukturen, die an das „Ancien Regime“ der absolutistischen Herrscher Frankreichs erinnerten. Seit Macrons Amtsantritt vor gut sechs Monaten habe sich eine „Herrschaft der Eliten“ durchgesetzt statt der versprochenen Basisdemokratie. Laut dem Rundfunksender Franceinfo gehören zu den Rebellen auch gewählte Kommunalvertreter und Parteiverantwortliche.

Warum kommt die Kritik kurz vor dem LREM-Kongress?

Bei dem Treffen im ostfranzösischen Lyon am Samstag will sich Macrons Gruppierung personell neu aufstellen. Hauptprogrammpunkt ist die Wahl eines neuen „Politbüros“. Einziger Kandidat für den Posten des Vorsitzenden ist der bisherige Regierungssprecher Christophe Castaner. Er hatte kürzlich in einem Interview seine „Bewunderung“ für Macron ausgedrückt und von einer „Liebesdimension“ in ihrer Beziehung gesprochen. Die abtrünnigen Macron-Mitstreiter kritisieren das undurchsichtige Verfahren von Castaners Nominierung und den Verzicht auf eine Urwahl durch die Basis. Stattdessen ist eine Abstimmung mit Handzeichen vorgesehen.

Gibt es einen „Personenkult“ um Macron, wie die Kritiker bemängeln?

Die Wissenschafterin Eileen Keller vom Deutsch-Französischen Institut (dfi) in Ludwigsburg bejaht dies: „Macron ist jemand, der den Personenkult fördert und als starke Persönlichkeit auftritt“, sagt Keller. „Das hängt mit seiner Interpretation des Amtes zusammen.“ Zudem lasse sich die Person des Staatschefs kaum von der des Gründers der Bewegung trennen, die ursprünglich nach seinen Initialen „En Marche!“ hieß.

Nach Kellers Einschätzung steht eine Mehrheit der LREM-Mitglieder weiter hinter dem Präsidenten. Aber die Gruppierung müsse dafür sorgen, „dass die ursprüngliche Euphorie nicht abflacht“.

Ist Macrons „Bewegung“ nicht längst eine „Partei“ wie alle anderen?

In den im Oktober angenommenen Statuten ist von einer „politischen Bewegung“ die Rede, die eine „partizipative Demokratie“ vertrete. Wie bei einer Bürgerbewegung bieten die LREM-Mitglieder lokale Diskussionsrunden an, etwa zur Zukunft Europas oder zur Stadtplanung. Zudem ist es den Anhängern möglich, Mitglied in einer anderen Partei zu sein.

Allerdings nimmt Macrons „Bewegung“ immer stärker Partei-Strukturen an, wie auch die bevorstehende Wahl der neuen Spitze zeigt. Frankreich-Expertin Keller führt dies vor allem auf die Regierungsverantwortung und die Notwendigkeit einer zentralen Lenkung zurück. Sie spricht von einem „Spagat“: Auf dem Kongress in Lyon müsse es ein „Signal geben, dass die Mitglieder gehört werden“.

Wie viele Mitglieder hat La Republique en Marche?

Die Gruppierung spricht von rund 380.000 Anhängern. Für einen Beitritt reicht es, ein Formular auf der Webseite auszufüllen. Da die Mitgliedschaft kostenlos ist, dürfte es viele Karteileichen geben. Der LREM-Senator François Patriat, der am Samstag als Vorstandsmitglied bestätigt werden soll, spricht von vielleicht 100.000 „aktiven“ Macron-Anhängern. An einer Mitgliederbefragung im September beteiligten sich knapp 20.000 Menschen.