Justizsystem in Uganda „total verstopft“ - Österreich hilft

Arua/Kampala (APA) - Sprechen Vertreter des Justizsystems in Uganda über ihre Arbeit, fällt oft das Wort „Verstopfung“. Polizei, Staatsanwal...

Arua/Kampala (APA) - Sprechen Vertreter des Justizsystems in Uganda über ihre Arbeit, fällt oft das Wort „Verstopfung“. Polizei, Staatsanwaltschaften, Gerichte und Gefängnisse sind stark überlastet. Mit Entwicklungshilfegeldern aus Österreich soll die Situation verbessert werden.

„Wir wissen nicht, wo wir mit ihnen hin sollen“, sagte Polizeisprecherin Polly Namaye auf dem Polizeiposten der nordwestlichen Bezirkshauptstadt Arua. In den drei, nur mit Strohmatten ausgelegten Arrestzellen müssen angehaltene Personen die Nacht im Stehen verbringen. Bis zu 40 statt 20 Menschen sind hier über Tage weggesperrt. Mit Müh und Not ist sichergestellt, dass sie wenigstens einmal am Tag eine Mahlzeit bekommen.

Die Büros der Wache sind voll mit wartenden Menschen. Einige hatten einen Verkehrsunfall, der aufgenommen werden soll, andere sollen wegen eines Diebstahls vernommen werden. Überall stapeln sich die Aktenbündel - kein Wunder in dem Chaos, dass sie oft nicht auffindbar sind, wenn sie vor Gericht gebraucht werden.

Die Unterdotierung und vor allem der Mangel an Staatsanwälten und Richtern zieht in dem armen, ostafrikanischen Land einen Rattenschwanz an Problemen im gesamten Justizsystem nach sich. Hier im Norden des Landes ist die Lage verschärft. Zu den 800.000 Einwohnern des Bezirks Arua sind in den vergangenen Monaten 200.000 Bürgerkriegsflüchtlinge aus dem Südsudan gekommen. Die Polizeitruppe von ohnedies nur 200 Beamten wurde nicht aufgestockt. 700 wären effektiv, hört man.

Überfüllt ist auch das Gefängnis von Arua. Für 270 Häftlinge ausgelegt, bewegt sich die Zahl der Insassen derzeit auf die 900 zu. Vor allem ein Rückstau bei Gericht hat zur Folge, dass U-Häftlinge die Anstalt überlasten. Sie sollten höchstens sechs Monate auf ihr Urteil warten. Bis zu fünf Jahre können in Uganda daraus werden.

„Die Gerichtsbarkeit ist total verstopft“, seufzt Bezirksrichterin Maureen Mukoya. Jeweils bis zu 700 Fälle haben sie und ihre zwei Kollegen pro Jahr abzuhandeln. Hauptproblem sei die unzureichende Finanzierung. Die ugandische Regierung hat ein Investitionsprogramm für das Justizwesen laufen. Seit 2012 werden die Reformen mit zwei Millionen Euro pro Jahr mit Hilfsgeldern der Österreichischen Entwicklungszusammenarbeit (OZA) gefördert, wie Doris Gebru-Zeilermayr vom Kooperationsbüro der Austrian Development Agency (ADA) in der ugandischen Hauptstadt Kampala erklärt.

Die Regierung um Langzeit-Präsident Yoweri Museveni, der 1985 in einem Wirtshaus in Unterolberndorf im Weinviertel mit seinen Gesinnungsgenossen den Sturz seines Vorgängers Milton Obote und eine neue Verfassung plante, hat freilich andere Prioritäten als die Justiz. Derzeit gehen große Staatsinvestitionen in den Rohstoffsektor. Dieser Tage werden die Planungen für die Pipeline fertiggestellt, welche die in dem Binnenland entdeckten Erdölvorkommen, für den weiteren Export per Schiff durch das benachbarte Tansania transportieren soll, wie die regierungsnahe Zeitung „New Vision“ berichtete.

Die Regierung argumentiere, dass die wirtschaftliche Entwicklung, Fortschritte in anderen Bereichen bedinge und nach sich ziehen werde, sagen Beobachter. Günter Engelits, Leiter des ADA-Kooperationsbüros in Kampala, stellt dem seine Ansicht entgegen: „Wenn Recht und Ordnung in einem Staat (...) nicht genügend und nicht zur Zufriedenheit der Bevölkerung gewährleistet sind, dann ist jede Entwicklung gefährdet.“ Entwicklungsschritte in anderen Bereichen müssten rechtlich abgesichert sein. Er warnt vor einer „Mob-Dynamik“, sollten sich etwa bei größeren Landstreitigkeiten Gerichtsurteile verzögern. Dabei hätten relativ wenig Geldmittel im Justizwesen sehr viele Nutznießer.

Bezirksrichterin Mukoya wäre schon viel geholfen, wenn die unterste Ebene der Gerichtsbarkeit gut funktionieren würde. In Uganda konstituieren sich die Gemeinderäte als Gerichte, die sich mit Fällen von Kleinstkriminalität befassen. Seit Jahren sind aber Gemeinderatswahlen überfällig - offenbar, weil Musevenis Regierungspartei befürchtet, an Macht zu verlieren. Die seit 2005 amtierenden Gemeinderäte dürfen mangels Legitimation durch den Wähler daher kein Recht mehr sprechen. So muss sich Mukoya auch mit Fahrrad- und Hühnerdiebstählen herumschlagen, was ihr die Zeit wegnimmt, sich mit gravierenderen Delikten zu beschäftigen. Sie hofft auf neue Gemeindegerichte nach den Lokalwahlen, die nun am 21. November stattfinden sollen.

Die Staatsanwälte streiken unterdessen aus Protest gegen die Verhältnisse seit Wochen. Auch sie klagen über ein schier nicht zu bewältigendes Arbeitspensum und unangemessene Entlohnung. Rund 35 Causen pro Tag seien es, schnauft Anklägerin Hariet Atabangu.

Wo die Ressourcen knapp sind, werden Ideen wie „mobile Gerichte“ umgesetzt oder „Community Policing“. Hier arbeiten die Polizisten, denen oft die Transportmittel fehlen, um rasch an Ort und Stelle zu gelangen, mit teils offen, teils verdeckt tätigen Normalbürgern zusammen, die ihre Augen und Ohren offen halten und der Polizei über Vorkommnisse berichten und bei Straftaten Alarm schlagen.

Auch springen einschlägige Justiz-NGOs für den Staat ein. So sitzt die 54-jährige Rosette Naziwa Katumwa im Hauptbüro des Uganda-Ablegers der internationalen Anwältevereinigung FIDA. Ihr kommen die Tränen, wenn sie ihre Geschichte erzählt. Ihr langjähriger Lebensgefährte und Vater ihrer Kinder verkaufte das gemeinsame Haus ohne ihr Wissen von einem Tag auf den anderen, warf den Rest der Familie auf die Straße. „Die Polizei hat mir nicht geholfen, als ich mich an das Gericht wandte, hat man mich weggejagt“, schildert Katumwa, das Stofftaschentuch in den im Schoß liegenden Händen. Als sie schon am Verzweifeln war und zwei ihrer Kinder in die Prostitution abglitten, kam Hilfe von FIDA, die sich vor allem Frauen annimmt. In einem Mediationsverfahren wurde der Ex-Partner verpflichtet eine Summe zu zahlen. Frau Katumwa konnte so ein neues Leben starten.

Solche Fälle von Familienkonflikten gehören zum Alltag in Uganda genauso wie häusliche Gewalt. FIDA Uganda bekommt es aber auch mit Menschenhandel oder der Gefährdung von Arbeiterinnen in Blumenfarmen durch Chemikalien zu tun. Mediation gilt als probates Mittel, um das verstopfte und auch korruptionsanfällige Justizsystem zu umschiffen und gleichzeitig zu entlasten.

Für Lucy Ladira, die die Regierung im Strafgerichtsbarkeit berät, ist klar: „Wir haben noch keine internationalen Standards erreicht.“ Es gebe aber Fortschritte. Wichtiges Ziel ist für sie, dass alle Bezirke des Landes auf allen vier Justizebenen - Polizei, Staatsanwaltschaft, Gericht, Gefängnis - versorgt wird. ADA-Expertin Gebru-Zeilermayr erwähnt an erster Stelle, dass Polizei und Gerichte alle eigene und adäquate Gebäude bekommen und sich nicht mehr mit angemieteter, ungeeigneter Infrastruktur herumquälen müssen. Aber auch sie verweist trotz Überbelegung und prekärer Zustände in den Gefängnissen auf Verbesserungen mithilfe ausländischer Geldgeber: „Der Strafvollzug in den letzten 15, 20 Jahren hat sich fast revolutioniert.“