Deutschland

Mehr Zeit? Jamaika-Verhandler beschwören Willen zum Kompromiss

Die Sondierungsgespräche zwischen CDU, CSU, FDP und Bündnis 90/Die Grünen laufen auf Hochtouren. Noch gibt es große Brocken zu bewältigen.
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Der Ton wird freundlicher und die Differenzen kleiner: In den Verhandlungen rund um die „Jamaika-Koalition“ scheint es Fortschritte auch in schwierigen Themen zu geben. Die Union bietet einen Kompromiss im Kohlestreit an. Die Grüne kritisieren, die CSU bewege sich in der Flüchtlingsfrage nicht.

Berlin – Mit viel Zuversicht sind die deutschen Koalitionsverhandler am Donnerstag in die vorerst letzte Runde ihrer Sondierungen gegangen. Trotz aller Gegensätze kamen die Unterhändler von CDU, CSU, FDP und Grünen bei einigen Themen voran: beim Kindergeld, beim Solidaritätszuschlag sowie beim Klimaschutz und Kohleausstieg. Schwierig blieben dagegen die Themen Familiennachzug von Flüchtlingen und Verkehr.

Freundliche Töne und tiefe Differenzen

Der Ton unter den Unterhändlern war offensichtlich freundlicher als noch die Tage zuvor. Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel (CDU) bekräftigte zu Beginn der entscheidenden Runde: „Ich glaube, es kann gelingen.“ Es gebe zwar noch „gravierende Unterschiede“ zwischen den Parteien, eine Einigung sei aber möglich. Aus einem Erfolg der Jamaika-Verhandlungen könne „etwas sehr Wichtiges für unser Land in einer Zeit großer Polarisierung entstehen“, sagte Merkel. Sie forderte alle Beteiligten auf, jetzt die entscheidenden Kompromisse zu machen.

Tiefe Differenzen vor allem bei den Themen Kohle und Klima, Flüchtlinge und Finanzen waren nicht ausgeräumt. Grün-Politikerin Claudia Roth beklagte am Abend, dass sich die CSU in der Flüchtlingsfrage nicht bewege. Dagegen bot die Union laut Verhandlungskreisen einen Kompromiss im Kohlestreit an. Demnach soll die Kohleverstromung um sieben Gigawatt reduziert werden. Die Grünen hatten acht bis zehn Gigawatt gefordert, Union und FDP boten bisher drei bis fünf Gigawatt an. Vor dem Tagungsgebäude war am Abend ein „Kohle Stopp“-Demonstrationszug vorbeigezogen, zuvor hatte schon Greenpeace für Umweltschutz demonstriert.

Die Verhandlungsgruppen gingen am Donnerstagabend mit einem 61 Seiten starken Einigungsentwurf in die Gespräche. In der Präambel des Papiers, das der Deutschen Presse-Agentur vorliegt, heißt es: „Uns eint die Verantwortung für die Menschen und die Zukunft unseres Landes.“ Das Wahlergebnis habe die vier Parteien vor die Aufgabe gestellt, eine handlungsfähige und erfolgreiche Bundesregierung zu bilden. „Wir wollen aus unterschiedlichen Auffassungen neue und überzeugende Antworten gewinnen.“

Bei dem für den finanziellen Spielraum der künftigen Regierung mitentscheidenden, umstrittenen Abbau des Solidaritätszuschlags rückte ein Kompromiss näher, wie aus den Verhandlungsunterlagen hervorgeht. Konkret heißt es darin: „Der Solidaritätszuschlag wird schrittweise abgebaut.“ Allerdings waren die Details der vorgesehenen drei Etappen weiter umstritten.

Beim Komplex Verbraucherschutz und bessere Ernährung waren sich die Unterhändler weitgehend einig. Bei Vergleichsplattformen im Internet solle Transparenz geschaffen werden, heißt es in einem Papier der zuständigen Sondierungsarbeitsgruppe. Bei Lebensmitteln solle ein umfassendes Programm für gesunde Ernährung erarbeitet werden. Umgesetzt werden soll auch eine Strategie für weniger Zucker, Fette und Salz in Fertigprodukten.

Die Grünen kündigten an, auf ihre bisherige Forderung nach einer höheren Dieselsteuer zu verzichten. Dies erfordere aber Gegenleistungen der anderen Parteien. Fraktionschef Anton Hofreiter zählte dazu unter anderem strengere Regeln für den Kohlendioxid-Ausstoß, ein Bonus-Malus-System in der Kfz-Steuer als Kaufanreiz für emissionsarme Pkw sowie wirksame Lösungen für gesunde Luft in den Städten.

Mögliche Verlängerung der Sondierungsgespräche?

Es kam aber auch die Befürchtung auf, dass die Sondierungen doch länger dauern könnten als geplant. Angesichts der noch offenen Fragen brachte FDP-Vize Wolfgang Kubicki eine Verlängerung ins Gespräch. Dem „Spiegel“ sagte er, Formelkompromisse müssten vermieden werden, die später für Streit in einer gemeinsamen Regierung sorgen könnten. Die Grünen unterstrichen vor den finalen Gesprächen, es müsse vor allem vorangehen bei der Rettung des Klimas, für eine menschliche und geordnete Asylpolitik, für mehr Gerechtigkeit und ein gemeinsames Europa.

Schwierige Verhandlungen wurden auch deshalb erwartet, weil die Wünsche der vier potenziellen Partner deutlich mehr kosten, als Geld in der Kassa ist. Die Unterhändler von CDU, CSU, FDP und Grünen gehen bisher von einem Finanzspielraum für die kommenden vier Jahre von 35 bis 40 Milliarden Euro aus. Je nach Rechnung ist auch von 45 Milliarden Euro die Rede. Die komplette Abschaffung des Soli, wie ihn die FDP forderte, würden den Bund rund 20 Milliarden Euro pro Jahr kosten.

Vor der vermutlich letzten Sondierungsrunde übergab der Verein „Mehr Demokratie“ mehr als 257.000 Unterschriften für die Einführung von bundesweiten Volksabstimmungen an die Jamaika-Unterhändler von FDP und Grünen. Das Thema ist unter den Parteien umstritten. Die CDU hatte sich vor der Wahl gegen Volksentscheide im Bund ausgesprochen. (APA/dpa/Reuters)