Rennen um die EMA: Bratislava unter den Favoriten
Bratislava/London (APA) - Politisches Prestige, Stärkung des Gesundheitssektors im internationalen Maßstab, Arbeitsplätze, bessere Chancen f...
Bratislava/London (APA) - Politisches Prestige, Stärkung des Gesundheitssektors im internationalen Maßstab, Arbeitsplätze, bessere Chancen für Universitäten und Forscher sowie Intensivierung der Kontakte zum Ausland – das alles verspricht sich die Slowakei von einer eventuellen Ansiedlung der EU-Arzneimittelagentur (EMA) in Bratislava.
Kurz vor dem Finale gilt die slowakische Hauptstadt mit 426.000 Einwohnern zusammen mit Mailand als Favoritin des Rennens, an dem sich auch Wien beteiligt. Doch auf dem Weg zum erhofften Ziel liegen ziemlich viele Stolpersteine.
Würden bei der Abstimmung am 20. November rein geopolitische Kriterien den Ausschlag geben, wäre der Slowakei ein Sieg wohl sicher. Um den künftigen Sitz der EMA bewerben sich insgesamt 19 EU-Länder, nur fünf davon haben bisher noch keine EU-Behörde auf ihrem Gebiet - neben der Slowakei auch Zypern, Kroatien, Rumänien und Bulgarien. Unter diesen wird die Slowakei aber als das wirtschaftlich stärkste Land mit einer geografisch sehr vorteilhaften Lage gesehen. Auch die restlichen Länder der Visegrad-Gruppe, allesamt Nachbarländer der Slowakei, haben schon mindestens eine EU-Agentur. Das könnte Bratislava in die Karten spielen. Tatsächlich ist Ausgewogenheit und eine gleichmäßige Verteilung von Behörden in der Gemeinschaft aber nur eines der gesetzten Kriterien.
Die EMA ist die größte europäische Agentur mit mehr als 900 Mitarbeitern und einem Jahresbudget von rund 300 Millionen Euro. Die Ansprüche für den neuen Standort sind daher nicht gering, vor allem, was gute Erreichbarkeit und Hotelkapazitäten angeht. Jährlich rechnet man mit nahezu 40.000 Besuchern, die an Seminaren und Konferenzen der Agentur teilnehmen und Übernachtungsmöglichkeiten brauchen. In ihrer Bewerbung präsentierte sich die slowakische Hauptstadt als angenehme, gut entwickelte Metropole mit geringen Lebenskosten, einer ausgezeichneten geografischen Lage mitten in Europa und guter Zugänglichkeit. Hier könnte jedoch einer der Stolpersteine liegen.
Als eventuellen künftigen EMA-Sitz hat die Slowakei ein noch in Bau befindliches Gebäude namens Westend Plazza vorgeschlagen, gelegen im Patronka-Viertel nahe der Autobahn D2 in Richtung Tschechien. Das Gebäude, gebaut von der Finanzgruppe J&T Real Estate, könnte noch vollumfänglich den Ansprüchen der EMA angepasst werden und wäre zum Umzugstermin garantiert fertig. Die Agentur könnte zum vorgesehenen Datum Ende März 2019 am neuen Standort problemlos ihre Arbeit aufnehmen. Zudem hat sich die slowakische Regierung verpflichtet, dass sie für die ersten zwei Jahre die vollständige Miete sowie sämtliche Betriebs- und Instandhaltungskosten des Gebäudes übernimmt.
Der Bau erfüllt alle Ansprüche, es sind genügend Büros und Sitzungsräume mit neuester Telekommunikationsausstattung und Hochgeschwindigkeitsinternet vorhanden. Ein Datenzentrum und externe Datenarchivierung außerhalb des Hauptgebäudes sind allerdings nicht im Angebot. Auch der Umzug selbst wurde in der slowakischen Präsentation überhaupt nicht erwähnt, zudem weckt das komplizierte System öffentlicher Beschaffungen in der Slowakei teilweise Bedenken.
Die Westend Plazza liegt auch etwas außerhalb des direkten Zentrums der Hauptstadt. Das hat Konsequenzen für die hervorgehobene gute Zugänglichkeit und das Hotelangebot. Der Flughafen Bratislava hat zum Beispiel keine direkte Verbindung zu vielen internationalen Destinationen. Die Slowaken verweisen hierbei auf den nahegelegenen Flughafen Wien, der alle Kriterien erfüllt und nur 50 Kilometer entfernt liegt - im Nachmittagsstau kann dies aber 1,5 Stunden Autofahrt bedeuten. Auch das Hotelangebot lässt zu wünschen übrig - Hotels sind zwar genügend vorhanden und auch relativ kostengünstig, nur liegen diese meist im Stadtzentrum, etwas weiter weg von der Westend Plazza.
Laut der EU-Kommission hat Bratislava alle gesetzten Kriterien erfüllt. Eine Einschätzung der EMA sah das slowakische Angebot ebenfalls zum Großteil positiv. Problemlos seien die Aufrechterhaltung der Geschäftstätigkeit und ausreichende Büroräume, es gebe auch genügend europäisch ausgerichtete Schulen, hieß es. Teilweise Bedenken gebe es hingegen wegen des Zugangs von Partnern des Personals zu Arbeitsmarkt, Gesundheitsbetreuung und sozialer Absicherung. Und in der Slowakei gebe es auch keine registrierten Partnerschaften, erwähnte die EMA in ihrer Stellungnahme.
Schon im September hatte das europäische Nachrichtenportal „Politico“ über einen Brief von EMA-Mitarbeitern berichtet, adressiert an Agenturchef Guido Rasi. Darin äußern diese Befürchtungen über einen künftigen Standort in einem Land, das Homosexuelle diskriminiert, Ehen von Partnern gleichen Geschlechts nicht anerkennt und auch keine registrierten Partnerschaften eingeführt hat. Unterschrieben hatten den Brief rund 250 der insgesamt 900 Mitarbeiter. Namentlich wurde die Slowakei aber nicht genannt. Tatsächlich dürfte die Meinung der Beschäftigten die bevorstehende Entscheidung kaum beeinflussen.
Slowakische Diplomaten und Politiker plädierten unterdessen in den vergangenen Wochen vor allem für Fairness bei der Wahl des neuen EMA-Standorts. Europastaatssekretär Ivan Korcok meinte gar, wenn die Entscheidung auch diesmal nicht zugunsten eines der Länder ohne Agentur ausfallen würde, betrachte er das als diskriminierend. Der slowakische Ministerpräsident Robert Fico scheint die Sache gelassener zu sehen. Die Konkurrenz sei so groß, dass sich die Slowakei wirklich anstrengen müsse, meinte er. Wenn es aber ein fairer Kampf sei, solle das beste Angebot gewinnen. Sein Land werde es voll respektieren.