Kraft drückte sich im Sommer nur vor dem Zahnarzt
Stefan Kraft will in der heute in Wisla (POL) beginnenden Olympia-Saison zu neuen Höhenflügen abheben. Der TT erzählte der ÖSV-Adler, was ihn Überwindung kostet und was er einmal seinen Kindern erzählen will.
Innsbruck — Die Uhren werden wieder auf null gestellt. Für Stefan Kraft beginnt heute (Qualifikation 18 Uhr/live Eurosport) in Wisla der Olympia-Countdown. Die TT erreichte den 24-jährigen Salzburger kurz vor dem Abflug nach Polen am Handy und erkundigte sich nach den letzten Vorbereitungen.
Herr Kraft, im Hintergrund hört man ein Rauschen. Sind Sie schon in der Luft?
Stefan Kraft: Nein, ich bin noch am Boden (lacht). Ich fahre mit dem Auto und hab' die Freisprechanlage an.
Wohin geht die Reise?
Kraft: Nach Bischofshofen auf Kurzbesuch zu meinem Papa. So viel Zeit muss sein, ich bin ja nun bis März ständig unterwegs.
Der Weltcup beginnt in Wisla (POL). Welche Dinge gehen einem so kurz vor dem Auftakt durch den Kopf?
Kraft: Ich bin frei im Kopf und freue mich richtig aufs Skispringen. Ich zähle die Tage, bis es endlich losgeht. Bis zuletzt habe ich noch in Ruhe trainiert. Ohne Stress. Ich weiß, dass ich alles beisammen habe.
Sie wirken entspannt, obwohl Sie erst vor wenigen Wochen in eine neue Wohnung übersiedelt sind. Ist der Umzugsstress vorbei?
Kraft: Meine Freundin Marisa und ich sind Ende Juni eingezogen, es sind nur noch Kleinigkeiten offen. Gestern habe ich ein paar Bilder aufgehängt. Es fühlt sich schon länger gemütlich an, es taugt mir voll.
Ihre neue Küche werden Sie jetzt längere Zeit kaum benützen ...
Kraft: Heute habe ich mir noch einen Tortilla-Wrap gemacht. Unterwegs setze ich mich immer zum gedeckten Tisch, das ist auch fein. Wenn ich zuhause bin, schaue ich schon, dass ich etwas Gutes koche. Gesunde Ernährung ist mir wichtig, denn oft gibt es unterwegs nicht das beste Essen.
Appetit haben Sie auch auf den Saisonstart ...
Kraft: Ich freu' mich wie ein kleiner Bub. Es ist alles wieder neu. Wenn ich in Wisla auf der Schanze stehe, bin ich nervös, habe Bauchkribbeln. Ich will zeigen, was wir im Sommer über trainiert haben.
Wie wichtig ist ein guter Start in den Winter?
Kraft: Schon sehr wichtig. Wer ist in Topform? Wer hat etwas besonders gut gemacht? Ich weiß, dass ich gut drauf bin. Ich wäre zufrieden, wenn ich gleich unter den Top 10 lande. Da weiß man...ach nein, fix qualifiziert gibt's ja nicht mehr.
Ärgert Sie, dass die besten zehn künftig auch in der Qualifikation springen müssen?
Kraft: Mir wäre es lieber anders gewesen. Ich habe doch öfters die Qualifikation ausgelassen, um Kräfte zu sparen.
Apropos Kraft: Ist durch all die Erfolge (Doppel-Weltmeister, Skiflug-Weltrekordhalter, Gesamtweltcupsieger) Ihr Leben anstrengender geworden?
Kraft: Wenn ich alleine in Salzburg einkaufen gehe, dann kennen sie mich schon. Da muss ich mir schon vorher überlegen, was ich mir kaufe. Es war aber noch niemand ungut zu mir, daher passt das schon. (lacht)
Sind Sie enttäuscht, dass Sie nicht Österreichs Sportler des Jahres geworden sind?
Kraft: Sicher wäre das genial, wenn ich einmal meinen Kindern sagen kann, in Österreich Sportler des Jahres gewesen zu sein. Das wäre ein geiler Titel! Marcel Hirscher und Dominic Thiem hatten auch eine Mega-Saison. Ich habe mir einfach ein falsches Jahr ausgesucht, aber ich springe ja noch ein paar weitere und vielleicht geht es sich einmal aus!
Sie sind sehr gefragt. Welcher Termin kostet Sie am meisten Überwindung?
Kraft: Vor dem Zahnarzt habe ich mich den ganzen Sommer gedrückt. Das ist nicht meines, ich war erst letzte Woche. Ich hab' zu mir gesagt: „Du musst da hin für Olympia!"
Warum für Olympia?
Kraft: Das ist vom ÖOC (Österreichisches Olympisches Comité, Anm.) so vorgegeben. Man braucht eine Kontrolluntersuchung beim Zahnarzt. Es hat ohnehin alles gepasst!
Zahnarzt erledigt, die Saison kann kommen ...
Kraft: Ich bin bereit! (lacht) In Wisla halte ich den Schanzenrekord (139 m, Anm.) und das Stadion ist ausverkauft. Es gibt eigentlich nichts Besseres.
Eigentlich?
Kraft: Na ja, nach dem Wettkampf dauert es zwei Stunden, bis man wieder im Hotel ist, weil die polnischen Fans die Straße blockieren.
Das Gespräch führte Benjamin Kiechl