Bühne

Super-GAU im Zwergenland

Agitprop in Klett-Sandalen: Joachim Meyerhoff als titelgebender „Volksfeind“ am Wiener Burgtheater.Foto: APA/Neubauer
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Umweltskandal, Medienmanipulation und das liebe Kapital: In der Regie von Jette Steckel schlittert Henrik Ibsens „Ein Volksfeind“ über die Burg-Bühne.

Von Bernadette Lietzow

Wien – „Eisloch, Dusche, Brief. Überschrift: Ein Volksfeind” lauten die ersten Worte im Textbuch, das der Burgtheater-Premiere von Henrik Ibsens Drama „Ein Volksfeind“ (1882) am vergangenen Samstag zugrunde liegt. Dem „Eisloch“, einer Art Tauchbecken, entsteigt sogleich Joachim Meyerhoff, Schauspieler des Jahres (Theater heute) und derzeit auch wegen des vierten Bandes seiner Roman-Autobiografie in aller Munde – die TT berichtete. Er ist Dr. Tomas Stockmann, Arzt eines kleinen südnorwegischen Seebades, der sich zum „Volksfeind“ mausern wird.

In der Inszenierung der aus einer Theaterfamilie stammenden Jette Steckel – Vater Frank-Patrick Steckel, ehemals Regisseur und nun verantwortlich für die deutsche Neufassung von Ibsens Stück – ist die ursprünglich weitaus zwiespältiger angelegte Figur des Arztes rechtschaffen eindimensional eine Art fanatischer Alternativschul-Papi, ein Ökofreak in Klett-Sandalen und Daunenmantel.

Sein Bemühen, die Machenschaften seines Schwiegervaters, des Gerbereibesitzers Morten Kiil, anzuprangern, der die Heilquelle des Ortes mit Chemieabfällen vergiftet, bringt die gesamte Bürgerschaft auf den Plan: „Es gibt“, wird Stockmann klarmachen, „keine Umweltverschmutzung, sondern nur die Weltverschmutzung.“ Zu viel des Anspruchs für die Mächtigen, deren nicht uneigennützige Gehilfen und das „Volk“.

Dieses hat seinen Auftritt in Form einer Reihe riesenhafter Gartenzwerge, denen zu Ehre im Programmheft Karl Kraus’ sattsam bekanntes Zitat abgedruckt ist, jenes von der „niedrig stehenden Sonne der Kultur, in der selbst Zwerge lange Schatten werfen“.

Bühnenbildner Florian Lösche lässt die spießigen Vorgartenbewohner, allesamt mit an Donald Trumps Haarpracht gemahnender Vollbartfarbe, über die Drehbühne wandern und, siehe oben, Schatten werfen.

Im Verein mit Sibylle Wallums schicken Kostümen und Friederike Bernhardts live dargebrachter Bühnenmusik wird damit an der Burg dem Anspruch an zeitgenössische Theaterästhetik Genüge getan.

Dass nahezu alle Personen rund um die Familie Stockmann, neben Meyerhoffs Tomas dessen Gattin Kathrin (Dorothee Hartinger), Tochter Petra (Irina Sulaver) und zwei junge Söhne, geschäftig Pirouetten drehend ihre Machenschaften auf Schlittschuhen bewerkstelligen, ist, Stichwort: dünnes Eis, eine ziemlich berechenbare Metapher. Ole Lagerpuschs „abhängig beschäftigter Zeitungsmensch“ Hovstad, Peter Knaacks ränkeschmiedender Zeitungsherausgeber Aslaksen, Matthias Mosbachs armseliger Redakteur Billing und, besonders geschmeidig, Mirco Kreibichs Bürgermeister Stockmann, Tomas’ Bruder, gelingen auf ihren Kufen ansehnliche Charakterstudien. Natürlich ist es beeindruckend, Ignaz Kirchner zuzusehen, wie er die Rolle des erbarmungslosen Fabrikanten Kiil gestaltet, gleichermaßen hat Meyerhoff große Momente und können, von der Regie eher vernachlässigt, Irina Sulaver und Dorothee Hartinger bisweilen aufblitzen.

All diese schauspielerischen Leistungen machen jedoch nicht die ärgerlichen Momente dieses Ibsen-Abends vergessen, wenn Meyerhoff, in den Zuschauerraum wechselnd, in leider vollkommen wirkungsloser Agitprop-Manier das Publikum mit Hinweisen auf Strache und Konsorten der Bequemlichkeit zeihen soll oder, gleichsam als visueller und heillos plakativer Abspann, Bilder von Umweltkatastrophen das Ende des dreistündigen Theaterabends besiegeln. Entsprechend matter Applaus.