Kern übt scharfe Kritik an Tusk in Frage der Flüchtlingsquoten
Die vier Visegrad-Staaten kündigten an, sich am EU-Afrika-Fonds mit 35 Mio. Euro zu beteiligen. EU-Ratspräsident Donald Tusk rief die EU-Länder zu Einigkeit auf. Österreichs Kanzler Kern übte indes scharfe Kritik an einem Papier des Ratspräsidenten.
Brüssel – Die Debatte über die Flüchtlingsquoten hat den Auftakt des EU-Jahresendgipfels in Brüssel geprägt. Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) kritisierte dabei den jüngsten Vorstoß von EU-Ratspräsident Donald Tusk, der in einem Schreiben die verpflichtende Flüchtlingsumverteilung in der EU als „höchst spaltend“ und „unwirksam“ bezeichnet hatte, scharf. „Das grundsätzliche Denken, das in dem Brief zum Ausdruck kommt, lehne ich im höchsten Maße ab“, sagte Kern am Donnerstag im Vorfeld des EU-Gipfels.
Die Formulierung Tusks, so der Bundeskanzler weiter, sei – freundlich formuliert – „sehr unverständlich gewesen“. Der EU-Ratspräsident habe in seinem Einladungsbrief für den Gipfel auch geschrieben, dass „die Länder das machen“ müssten, sagte Kern, und er fügte hinzu: „Ich sehe das anders, entweder wir lösen da Problem gemeinsam, oder es ist unlösbar.“ Dass die verpflichtenden Quoten damit ein Ende haben könnten, glaubt der Sozialdemokrat nicht.
Zahlung in Afrika-Fonds angekündigt
Die vier Visegrad-Staaten, die die Quoten ablehnen, haben am Donnerstag bekanntgegeben, dass sie den EU-Afrika-Fonds mit 35 Mio. Euro unterstützen werden.
Zu der Zahlung der Visegrad-Staaten (Ungarn, Tschechien, Polen, Slowakei) in den EU-Afrikafonds erklärte Kern, dass man Geld brauchen werde. Aber man könne sich nicht mit 35 Millionen Euro aus einem Beschluss „freikaufen“, betonte der Bundeskanzler in Anspielung auf die Ablehnung der Visegrad-Staaten gegenüber den verpflichtenden EU-Flüchtlingsquoten. Da würden „grundsätzliche Spielregeln“ der Solidarität gelten. Beim nächsten Mal könnte es nämlich vielleicht passieren, dass Nettozahler ein anderer Beschluss nicht interessiere.
Das Geld von Ungarn, Tschechien, Polen und der Slowakei für den von Italien verwalteten Fonds soll für den Grenzschutz in Libyen verwendet werden. Das nordafrikanische Bürgerkriegsland ist das Haupttransitland für die meisten Flüchtlinge, die von Afrika aus versuchen, über das Mittelmeer nach Europa zu gelangen.
EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker begrüßte den finanziellen Beitrag der Visegrad-Staaten. Diese würden damit „Solidarität“ gegenüber Italien zum Ausdruck bringen.
Weitere Differenzen beim Thema Flüchtlingsquoten
Der italienische Regierungschef Paolo Gentiloni dankte ebenfalls den Visegrad-Staaten, hielt aber fest, dass es bezüglich der Flüchtlingsquoten weiterhin Differenzen gebe. Die verpflichtenden Quoten seien das „Minimum“ der Europäischen Union, betonte er. Der slowakische Premier Robert Fico sprach sich hingegen erneut dezidiert gegen die Quoten aus. „Es gibt kein Menschenrecht, in die EU zu reisen“, betonte er in Brüssel.
Ratspräsident Tusk plädierte vor Beginn des Gipfels für Einigkeit in der Europäischen Union. Angesichts der jüngsten Differenzen um seine Aussagen zur Migration sagte er, hier gebe es eine Trennlinie zwischen Ost und West. Diese Unterschiede in den Haltungen würden von Emotionen begleitet, die es schwer machten, zu einer gemeinsamen Sprache zu finden, so Tusk. Deswegen sollten alle daran arbeiten, intensiv und effektiver zu einer Einigkeit zu gelangen.
Tusk hatte zuletzt für Aufregung gesorgt, als er zur Migration erklärte, dass die Umverteilung nicht effizient genug verlaufen sei. Auch bezüglich der verpflichtenden Quoten habe er Zweifel, so Tusk. Dies hatte teils wütende Proteste seitens der Kommission zur Folge. Polens Regierungschef Mateusz Morawiecki und der ungarische Außenminister Peter Szijjarto begrüßten hingegen Tusks Aussagen.
Die EU streitet seit zwei Jahren über Flüchtlingsquoten. Im September 2015 hatten die EU-Innenminister gegen den Widerstand osteuropäischer Staaten die Umverteilung von Zehntausenden Asylbewerbern beschlossen. Sie sollten nach einem Quotensystem aus den stark belasteten Hauptankunftsländern Italien und Griechenland in die anderen Mitgliedstaaten gebracht werden.
Klage beim EuGH eingereicht
Ungarn, Tschechien und Polen weigern sich aber bis heute, den Beschluss umzusetzen. Die Kommission reichte deshalb vergangene Woche Klage beim Europäischen Gerichtshof ein.
Allerdings haben sich auch die meisten anderen EU-Ländern nicht besonders bemüht, die versprochenen Verpflichtungen umzusetzen – mit Ausnahme von Irland und Malta, die diese bereits erfüllt haben. Bisher wurden nach offiziellen Angaben der EU-Kommission von den damals versprochenen 98.255 Umverteilungen erst 32.427 durchgeführt. Österreich hat von den zugesagten 1953 bisher nur 17 Flüchtlinge aus Italien aufgenommen. (APA)