200 Jahre Frankenstein: Die Geburt des Monsters Mensch
Ein Jahr ohne Sommer und seine literarischen Folgen: Vor 200 Jahren erschien Mary Shelleys „Frankenstein oder Der moderne Prometheus“.
Innsbruck –Weil der Ausbruch des indonesischen Vulkans Tambora die Erdatmosphäre und damit auch das Klima gehörig durcheinanderwirbelte, ging 1816 als Jahr ohne Sommer in die Weltgeschichte ein. Die Folgen waren dramatisch: Überschwemmungen, Missernten, Hungersnöte. Dagegen nimmt sich das Schicksal einer Gruppe britischer Sommerfrischler – selten war die Formulierung treffender –, denen Dauerregen das Flanieren am Genfer See vermieste, einigermaßen unspektakulär aus.
Trotzdem: Als Flucht aus dem Lagerkoller schlug der Dichter Lord Byron den Gästen in seiner morbid-mondänen Villa Diodati vor, sich mit selbstverfassten Schauergeschichten zu bespaßen. Byron selbst verfasste dafür eine nie zu Ende gedachte Geschichte, die später in sein Gruselgedicht „Die Finsternis“ einfloss. Sein Leibarzt John Polidori war gewissenhafter: Polidoris Erzählung „Der Vampyr“ nahm vieles vorweg, was Bram Stokers „Dracula“ beinahe ein Jahrhundert später berühmt machte. Am folgenreichsten freilich war die Erzählung, die sich die damals gerade einmal 19-jährige Mary Godwin ausdachte: die Geschichte eines verbissenen Wissenschafters, der Gott spielt und ein Ungeheuer in die Welt entlässt.
Byron, aber auch Marys späterer Ehemann, der Dichter Percy Bysshe Shelley, waren angetan – und motivierten die angehende Autorin, die Geschichte zum Roman auszubauen. In den folgenden Monaten nahm „Frankenstein oder Der moderne Prometheus“ Gestalt an. Apropos Gestalt: Den glücklosen Forscher, der zum Inbegriff entgrenzter Vernunft wurde – und somit zum frühen Opfer dessen, was Theodor Adorno und Max Horkheimer „Dialektik der Aufklärung“ nannten –, modellierte Mary Godwin nach dem Vorbild von Percy Shelley. Überhaupt spickte sie den Roman mit zeitgenössischen Referenzen, auch auf (liberale) Ideen, die damals einigermaßen verpönt waren.
Mit solchen war Mary, die Tochter des Anarchismustheoretikers William Godwin und der Frauenrechtlerin Mary Wollstonecraft, seit Kindertagen vertraut. Auch deshalb verzichtete sie darauf, ihren Namen auf das fertige Manuskript zu schreiben. Am 1. Jänner 1818 schließlich kam „Frankenstein“ in den Buchhandel – ohne Hinweis auf seine Verfasserin, aber mit einem Vorwort, das sich unter anderem auf Überlegungen und Experimente von Erasmus Darwin – dem Großvater des Evolutionsforschers Charles Darwin – berief.
Großes Aufsehen erregte das Buch zunächst nicht: Bei der Kritik fiel die Geschichte von monströsen Menschen und einem menschelnden Monster, das zum Mörder wird, durch. Erst das Theater machte den Stoff populär – und der frühe Film sprang auf den Erfolgszug auf: Bereits 1910 wurde „Frankenstein“ erstmals verfilmt. In den 1930er-Jahren folgten dann die Universal-Schocker von James Whale mit Boris Karloff als Monster. Das Kino freilich nahm es mit der Vorlage nicht so genau, dichtete Figuren und Szenen mit Schauwert dazu. Wenn aber das vom mordbereiten Mob gehetzte Monster in Whales „Frankenstein“ (1931) ein kleines Mädchen nach übermütigem Spiel aus Versehen ertränkt – bis heute eine der erschütterndsten Szenen der Filmgeschichte –, kommt es der im Roman beschriebenen „elenden Kreatur“ ziemlich nahe. Und erinnert daran, dass „Frankenstein“ keine unheimliche, sondern eine unheimlich traurige Geschichte erzählt. (jole)