Gesundheit

Das Kreuz mit der Bandscheibe

(Symbolbild)
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Das Risiko, einen Bandscheibenvorfall zu erleiden, ist groß, die Möglichkeiten zur Vorbeugung klein. Doch in Innsbruck forschen Neurochirurgen an der Klinik an Wegen, die Behandlung zu optimieren.

Von Theresa Mair

Innsbruck –23 Bandscheiben halten die Wirbelsäule beweglich. Die wassergefüllten Polster verhindern, dass Wirbel auf Wirbel reibt, und federn Schläge wie Stoßdämpfer ab. Doch während man bei einem altersschwachen Auto die abgenutzten Federn in der Werkstatt einfach austauschen lassen kann, hat die Neurochirurgie diese Möglichkeit nicht. Noch nicht.

Denn an der Innsbrucker Universitätsklinik für Neurochirurgie werden und wurden zahlreiche Studien mit dem Ziel, die Therapie zu verbessern, durchgeführt. Bedarf dafür besteht: „15 Prozent der Bevölkerung haben ein Risiko, einen Bandscheibenvorfall, der die Nervenwurzel abdrückt, zu erleiden“, sagt Direktor Claudius Thomé.

Um zu erklären, was beim Bandscheibenvorfall (Prolaps) passiert, holt Thomé aus. Man muss den Aufbau einer Bandscheibe verstehen: Sie besteht aus einem festen, äußeren Faserring und einem weichen Gallertkern und „sie ist der größte nicht durchblutete Teil des Körpers. Dementsprechend langsam läuft der Stoffwechsel dort ab, sodass ein Schaden vom Körper nicht selbst repariert werden kann.“

Durch die Belastung sei es unvermeidlich, dass der Faserring mit der Zeit Risse bekommt. Häufig brauche es dann gar keinen bewussten Auslöser wie schweres Heben mehr. Der Faserring reißt quasi „über Nacht“ auf, der Gallertkern tritt ein Stück weit aus und drückt womöglich eine oder mehrere Nervenwurzeln ab. „Der Altersgipfel für einen Bandscheibenvorfall liegt bei 40 bis 50 Jahren.“ Bei Jüngeren ist ein Prolaps problematischer als bei Senioren: Der austretende Gallertkern ist noch prall und drückt ordentlich auf den Nerv.

Die beste Vorbeugung sei, moderat Sport zu treiben. Rauchen ist schlecht. Laut Studien beschleunigt es die Abnützung der Halswirbelsäule. Sonst könne man nur wenig tun. „Viel ist genetisch bedingt. Das Körpergewicht hat nur einen gewissen Einfluss. Auch der Beruf hat kaum Auswirkungen. Klar, die Arbeit mit dem Presslufthammer ist schädlich, weil die Wirbelsäule durch die Vibration dauernd Schläge abbekommt.“

Wenn tatsächlich ein schmerzhafter Vorfall passiert, dann hängt das weitere Prozedere von den Symptomen ab. „Ein Bandscheibenvorfall ist weniger mit Rückenschmerzen verbunden, sondern mit ausstrahlenden Schmerzen in Arme oder Beine, dem so genannten Ischiasschmerz.“

Je nachdem welche Symptome wo auftreten, können die Ärzte sofort erkennen, welcher Wirbel betroffen ist. Am häufigsten ist das der Bereich zwischen dem vierten und fünften Lendenwirbel sowie der Übergang zwischen dem festen Beckenknochen am Kreuzbein und dem beweglichen fünften Lendenwirbel. „90 Prozent der Bandscheibenvorfälle sind in der Lendenwirbelsäule. Dort ist die Last am größten.“

Es habe sich bewährt, mit einer Operation bis zu drei Monate lang abzuwarten, wenn der Patient „nur“ Schmerzen und ein Taubheitsgefühl hat. Erst danach, wenn der Patient noch immer leidet, er noch nicht wieder arbeiten gehen kann und eine Chronifizierung der Schmerzen droht, kommt er unters Messer.

Doch 80 Prozent würden die Schmerzen aussitzen, der ausgetretene Gallertkernteil trockne von selbst aus und mache keine weiteren Probleme mehr. Physiotherapie und Schmerzmittel helfen, diese Zeit zu überbrücken. Manchmal seien auch Infiltrationen mit Kortison direkt an die betroffene Nervenwurzel nötig.

Die restlichen 20 Prozent kommen nicht um eine OP herum. Ein so genanntes Cauda-Syndrom mit Harn- und Stuhlinkontinenz, Impotenz und Lähmungserscheinungen ist der absolute Notfall und kommt glücklicherweise sehr selten vor. „Der Gallertkern ist dann noch so groß, dass er auf alle abgehenden Nerven drückt. Man muss binnen 24 Stunden operieren“, so der Neurochirurg. Sonst droht eine bleibende Behinderung. Bei Lähmungserscheinungen am Oberschenkel oder am Vorfuß sollte innerhalb von wenigen Tagen der Nerv durch eine Operation entlastet werden.

Endoskopische, minimal­invasive Operationen konnten sich bislang in der Bandscheibenchirurgie nicht durchsetzen. Zwar habe der Patient direkt nach dem Eingriff weniger Schmerzen, das Risiko, einen weiteren Vorfall oder in Einzelfällen eine Nervenschädigung zu erleiden, sei aber nach Studienlage größer als bei der herkömmlichen Operation mit einem etwa drei Zentimeter langen Schnitt.

Tritt der Vorfall in der Halswirbelsäule auf, wird die Bandscheibe von vorne komplett entnommen, eine bewegliche Prothese eingebaut oder – bei älteren Patienten aufgrund bestehender Abnützungen der Facettengelenke – die betroffenen Wirbel versteift. Alternativ kann auch minimal-invasiv von der Nackenseite her mithilfe eines Schlauchs nur der Vorfall entfernt werden. „Bandscheibenvorfälle in der Halswirbelsäule sind problematischer als in der Lendenwirbelsäule, weil sich dort noch Rückenmark befindet.“

Ist die Lendenwirbelsäule betroffen, entfernen die Innsbrucker Spezialisten lediglich das Stück des Vorfalls und belassen den restlichen Gallertkern im Faserring – außer das Loch ist groß und das Rückfallrisiko deshalb hoch. Derzeit würden Verschlusssysteme getestet, um den Riss zu flicken.

Der Weg der Zukunft ist allerdings so genanntes „Tissue Engineering“. Im Rahmen einer Innsbrucker Studie wurden körpereigene Bandscheibenzellen von Patienten im Labor vermehrt und ihnen dann in den leeren Faserring injiziert. Ob die Nachfüllung erfolgreich war und der Gallertkern nachgewachsen ist, soll im Laufe des Jahres ausgewertet werden.

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