„Olga“ von Bernhard Schlink: Zu groß geraten
Bernhard Schlink jagt in „Olga“ durch die deutsche Geschichte. Wirklich viel gibt der neue Roman des deutschen Erfolgsautors allerdings nicht her.
Von Joachim Leitner
Innsbruck –Dass sie bettelarm ist, lernt Olga – die Titelfigur von Bernhard Schlinks neuem Roman – im Heimatkundeunterricht, der sie in die besseren Viertel Breslaus führt: Dort sind die Straßen breiter, die Häuser stattlicher, die Luft besser. Und niemand stirbt, wie etwa Olgas Eltern, viel zu früh am Fleckfieber.
Aber Olga lernt nicht nur das. Sie lernt überhaupt viel und gern. Und sie legt schon in jungen Jahren große Beharrlichkeit an den Tag: Als sich ein Pfarrer abfällig über David Friedrich Strauß’ „Das Leben Jesu“ äußert, bringt sie den Geistlichen dazu, ihr das inkriminierte Buch zum Selbststudium zu überlassen. Ein ambitioniertes Projekt für ein wohl ungefähr 14-jähriges Mädchen im Konfirmandenunterricht.
Ähnlich ambitioniert ist auch der Roman selbst: „Olga“ folgt seiner Protagonistin aus verschiedenen Erzählperspektiven durch ein historisches Großpanorama.
Bernhard Schlink, seit seinem später erfolgreich in Hollywood verfilmten Roman „Der Vorleser“ (1995) ein in gut 50 Sprachen übersetzter Weltbestseller-Autor, spannt den Bogen vom Kolonialismus des ausgehenden 19. Jahrhunderts über zwei Weltkriege bis in die revolutionsbewegten Jahre um 1968 samt Ausblick auf das beginnende 21. Jahrhundert.
Geleitet wird die Erzählung von einer recht simplen These. Es ist die zumeist männliche Hybris, die immer wieder katastrophale Folgen zeitigt. Oder, in Olgas Worten: Gerade den Deutschen gerät immer alles zu groß. Großmannssucht also ist die Erklärung für alles Grauen. Dieser Hang zur küchenpsychologischen Vereinfachung machte schon „Der Vorleser“ zum viel verkauften Ärgernis.
Aber der Reihe nach: Ihre Lebensliebe Herbert, dessen von Standesdünkel getriebenes Elternhaus die Beziehung mit der armen Frau aus Pommern torpedierte, verlor Olga an das Weltmachtstreben des Kaiserreiches. Er meldete sich freiwillig als Soldat, beteiligte sich im heutigen Namibia am Völkermord an den Hereros. Dass Schlink an diese vielleicht größte Schandtat der vergleichsweise kurzen deutschen Kolonialgeschichte erinnert, darf man „Olga“ anrechnen. Auch wenn sie – wie so vieles in dem Roman – bloße Vignette bleibt.
Dass sich Herbert auch für den Krieg, der sich 1914 entfesselte, gemeldet hätte, steht außer Frage. Dass es nicht dazu kam, liegt an seiner Rastlosigkeit. Nach Afrika sollte die Arktis erobert werden. Dort allerdings verliert sich seine Spur. Olga schreibt ihm Briefe. Sie zählen zu den eindrücklichsten Passagen des Romans, der sich ansonsten damit begnügt, Geschichtsträchtiges wie Theaterkulissen zu arrangieren. Sprich durchaus ansehnlich, aber ganz ohne Tiefe.
Schlink organisiert seinen Roman in drei großen Teilen. Der erste folgt Olga auktorial bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs. Dann wechselt die Erzählperspektive: Ferdinand, ein junger Mann, erzählt von Olga, die er in den frühen Nachkriegsjahren in Heidelberg kennen lernt, wo sie ihm zur nach einem Unfall taub gewordenen Vertrauten wird. Dass Olga hochbetagt bei einem irrwitzigen Sprengstoff-Attentat auf ein Bismarck-Standbild ums Leben kommt, ist die überraschende Pointe des Romans. Auf die genaueren Umstände soll an dieser Stelle der Spannung wegen nicht eingegangen werden. Denn außer Spannung und den bereits erwähnten Brief-Passagen, die im dritten Teil des Buches noch einmal in der Zeit zurückspringen, gibt der Roman wenig her. Nur so viel vielleicht: Olga hütet ein Geheimnis, das dem Leser zwar einigen guten Willen abverlangt, aber immerhin. Schließlich war Schlink immer dann am besten, wenn er sich auf das Unwahrscheinliche einließ.
Ansonsten freilich bleiben seine Schilderungen sprachlich schmuck- und der Plot ziemlich einfallslos. Dass die Figuren, sieht man einmal von Olga ab, zudem kaum Charakter entwickeln, sondern recht hölzerne Verkörperungen wenig aufregender Ideen bleiben, liegt nicht zuletzt am Tempo, mit dem Schlink von Ort zu Ort und Zeit zu Zeit hetzt. Bisweilen fühlt man sich wie in einem Crashkurs zur deutschen Zeitgeschichte.
Mit Olga allerdings gelingt Bernhard Schlink tatsächlich das Porträt einer starken Frau, die den Widrigkeiten der Welt beharrlich trotzt. Den ganzen Roman zu tragen, vermag sie allerdings nicht.
Roman Bernhard Schlink: Olga. Diogenes. 310 Seiten, 24,70 Euro. Hörbuch Bernhard Schlink: Olga. Gelesen von Burkhard Klaußner. Fünf CDs. Diogenes. 24,70 Euro.