Fall Toni Sailer: Ein Akt sorgt für Empörung
Eine Journalistenplattform förderte ein Schriftstück zur Vergangenheit von Ski-Held Toni Sailer zutage. Inhalt: Verdacht der Vergewaltigung, Polit-Intervention.
Von Florian Madl und Max Ischia
Kitzbühel, Innsbruck – Ein brisanter Akt, von einer Rechercheplattform der Tageszeitung Standard, des Portals dossier.at und des Radiosenders Ö1 ausgegraben, sorgte gestern für Aufsehen. Im Mittelpunkt: Ski-Held Toni Sailer, der sich im März 1974 einen schweren Fehltritt erlaubt haben soll. Ein Fall, der schon damals bekannt wurde und als abgehandelt galt.
1 Der Vorfall: Der im August 2009 verstorbene Jahrhundertsportler Toni Sailer wurde im März 1974 im damals noch kommunistischen Polen vor einem Weltcuprennen festgenommen. Der damals 38-jährige ÖSV-Sportdirektor soll von einer polnischen Prostituierten der Vergewaltigung bezichtigt worden sein. Zwei für eine italienische Skischuhmarke arbeitende Jugoslawen hätten den bereits alkoholisierten Sailer zuvor auf ihr Zimmer im Hotel eingeladen, wo sich der Vorfall ereignet haben soll.
2 Die Intervention: Nach einer Meldung bei der Botschaft in Warschau nahm sich die österreichische Regierung der Sache an. Bundesminister Rudolf Kirchschläger soll eine telefonische Weisung erteilt und die prinzipielle Bereitschaft zur Übernahme einer Kaution zum Ausdruck gebracht haben. Die Summe sei in der Folge von 15.000 auf 5000 US-Dollar gesenkt worden, Sailer verließ Polen schließlich am 7. März. Der von der Rechercheplattform zutage geförderte Akt des Justizministeriums enthält die entsprechende Korrespondenz mit der Botschaft und dem Außenministerium.
3 Die Konsequenz: Die verletzte Polin brachte nie eine Privatanklage ein. Und das Bezirksgericht in Zakopane beendete das Verfahren am 9. Juli 1975 „mit Rücksicht auf Mangel an gesellschaftlichem Interesse“. Damit war auch für Österreichs Behörden das Verfahren beendet. Da die in Polen übrig gebliebene Körperverletzung in Österreich inzwischen verjährt war, ermittelte die Staatsanwaltschaft nicht weiter.
4 Die Reaktion Sailers: Der Kitzbüheler bestritt den Vorfall zeit seines Lebens, ihm sei eine „Falle“ gestellt worden. Das bestätigte gegenüber der Tiroler Tageszeitung auch Ex-Sportmoderator Sigi Bergmann, der mit Sailer die Biografie „Sonntagskind“ verfasst hatte: „Wenn ich ihn darauf ansprach, sagte er zu mir immer nur: ,Ich wurde freigesprochen, Sigi.‘“ Der 80-Jährige findet die Kritik fragwürdig: „Will man einen Giganten des Sports zerstören?“
5 Die Reaktion von Sportkollegen: Mit Unverständnis reagierten Ex-Olympiasiegerin Olga Pall und Dreifach-Weltmeister Karl Schranz: „Eine Frechheit, dass man das nach 40 Jahren ausgräbt, Tote soll man ruhen lassen“, meint der Arlberger. Die Absamerin Pall reagierte gestern auf die Medienberichte erschrocken: „Es hieß, es sei eine gedrehte Sache gewesen. Schade, dass Toni das nicht mehr klarstellen kann.“
6 Die Reaktion eines Kitzbüheler Ski-Club-Funktionärs: Hahnenkamm-Rennleiter Axel Naglich fühlte sich von dieser „ungustiösen Geschichte“, wie er sagte, vor den Kopf gestoßen. Er habe Sailer geschätzt, „weil er ein intelligenter Mensch war“. Aber: „Wenn die Vorwürfe stimmen, dann müsste er (Sailer) heute dafür geradestehen, wenn er noch am Leben wäre.“
7 Die Reaktion des Hahnenkammrennen-Vermarkters Harti Weirather (Abfahrtsweltmeister von 1982): „Dass man jetzt die Hahnenkammrennen und diese Bühne hier missbraucht, finde ich nicht okay.“ Hier werde medial „sicher überzogen“. Zu den sonstigen in jüngster Vergangenheit aufgetauchten Vorwürfen der sexuellen Belästigung bzw. des sexuellen Missbrauchs im Umfeld des Skisports meinte Weirather, dass man dies nun „professionell aufarbeiten“ müsse. „Und das passiert auch“, zeigte er sich überzeugt.