TT-Interview

Svindal: „Ich kann mich nicht selbst belügen“

© gepa/buehner

Vor zwei Jahren kam Aksel Lund Svindal in Kitzbühel schwer zu Sturz, nun ist Norwegens Speed-König der Top-Favorit. Im TT-Interview spricht der 35-Jährige über Furchtbewältigung, Olympia und große Träume.

Herr Svindal, das Interesse an Ihnen ist ungebrochen. Fast eine halbe Million Leute folgt Ihnen auf Facebook. Haben Sie sich früher jemals gedacht, dass Sie einmal so bekannt werden?

Aksel Lund Svindal: Ich habe nicht erwartet, dass die sozialen Medien so bekannt werden. Sonst hätte ich meine eigene Firma gegründet. (lacht) Nein, ich habe nie erwartet, dass ich berühmt werde. Ich bin kein Träumer. Ich bin ein Realist. Ich habe mich immer um die Dinge gekümmert, die es hier und jetzt zu tun gibt. Zum Beispiel war ich nie bei einem Weltcup-Rennen, bevor ich selbst eines gefahren bin.

Sie waren davor nie als Zuschauer vor Ort?

Svindal: Nein. Ich habe nie davon geträumt, Weltcup-Rennen zu fahren, bis ich dort war. Als man mich als Kind gefragt hat, ob ich den Gesamtweltcup gewinnen will, habe ich nur gesagt: Ich will die Jugend-Rennen in Norwegen gewinnen. Das war mein nächstes Ziel. Und darauf habe ich mich immer konzentriert. Ich war sehr simpel und realistisch. Also: Habe ich erwartet, dass ich berühmt werde? Definitiv nicht.

Sie haben von Realismus gesprochen — wie viel Platz ist auf einer schwierigen Abfahrt wie der Streif überhaupt für Träume?

Svindal: Es ist auf jeden Fall ein Platz für Träume. Die coolsten Momente des Rennens sind ja jene, in denen du die Ziellinie überquerst, dir denkst, du hattest einen guten Lauf, und eine gute Zeit siehst. Das ist alles, bevor du die Leute wahrnimmst. Wenn du alleine bist. Das ist der entscheidende Moment.

Sie fahren das zwölfte Mal die Abfahrt von Kitzbühel, waren erst einmal als Zweiter auf dem Podest. Sie sind Favorit — reicht es Ihnen wirklich, wenn Sie sich nach dem Lauf gut fühlen, aber nicht führen?

Svindal: Dieses Jahr? Da will ich die Nummer eins. Als ich vergangene Woche in Wengen durchs Ziel gefahren bin, hatte ich das Gefühl, dass das ein wirklich gutes Rennen war.

Aber man sah Ihnen damals ein wenig die Enttäuschung an, als Rang zwei im Ziel aufleuchtete ?

Svindal: Nicht wirklich. Ich wusste, dass das ein Podiumsplatz ist. Das ist immer gut. Aber in Kitzbühel, wo ich noch nie die Abfahrt gewonnen habe, wäre es unglaublich, zu siegen.

Sie haben in Wengen auch kurz die Angst angesprochen, die Sie vor dem Start in Kitzbühel haben. Vor allem nach Ihrem letzten Auftritt 2016, als Sie bei schlechter Sicht ins Netz flogen und sich das Kreuzband rissen. Wie bewältigen Sie diese Angst?

Svindal: Ich hätte gerne eine coolere Antwort (lacht) — aber das Wichtigste ist, dass du gut vorbereitet bist. Wenn ich in einer Kurve Angst habe, dann frage ich mich: Wieso ist das so? Ich habe Angst vor einem Sturz. Wenn ich das richtig mache, muss ich keine Angst haben. Dann muss ich keinen Sturz fürchten. Sehen Sie: Ich kann die Angst besiegen, indem ich ganz genau weiß, was ich zu tun habe. Du kannst dir selbst nicht vorlügen, dass du keine Angst hast.

Wie wichtig ist es, Angst mit in die schwierigsten Abfahrten zu nehmen?

Svindal: Es ist sehr wichtig, weil es Teil von dem ist, was wir tun. Wenn du als Abfahrer nie Angst hast, bist du eine große Ausnahme oder ein Lügner. Und wenn du ein Lügner bist, dann wirst du nie Erfolg haben. Wie kannst du dann besser werden? Wenn du sagst, dass du keine Angst hast, dann akzeptierst du diese Angst nicht. Ich kann mich selbst nicht belügen und für dumm verkaufen. Es ist wie bei den Anonymen Alkoholikern. Du musst dir eingestehen, dass du Alkoholiker bist, dann wird es besser.

Ihr Knie, das Sie vor einem Jahr operieren ließen, macht immer noch Probleme. Sie selbst sagen, der Schmerz begleitet Sie stets. Haben Sie dieselbe Taktik wie bei der Angst und sagen: Der Schmerz ist da und ich werde damit fertig?

Svindal: Das ist eine andere Taktik. Ich sage mir: Es ist schmerzhaft, aber nicht gefährlich. Es ist sicher nicht gesund, aber es wird nicht wirklich schlimmer. Das ist ein Weg, damit umzugehen.

Können Sie wirklich noch von gesund sprechen, wenn Sie stets mit Schmerzen an den Start gehen?

Svindal: Es kann sein, dass ich morgen aufhören muss. Oder in zwei Jahren. Oder in fünf Jahren. Das ist okay, damit finde ich mich ab. Ich habe die Erfahrung, um damit umzugehen. Ich weiß, dass ich vorsichtig sein muss, um den Sport länger auszuüben. Und ich bin optimistisch, was die Technologie angeht — auch wenn ich den Trend mit den Socia­l Media nicht vorhersehen konnte. (lacht) Ich kann vorhersehen, dass es da was gibt. Es ist ein weltweites Problem und wer mit einer guten Lösung daherkommt, der kann wirklich Milliardär werden. Wenn wir uns überlegen, was es schon 1996 und 2016 gab — wer hätte das vorhersehen können?

Stichwort Vorhersage: Wenn Sie vorausblicken — was nehmen Sie lieber mit, Ihren zweiten Olympiasieg oder den ersten Kitzbühel-Triumph auf der Abfahrt?

Svindal: Den Olympiasieg.

Wieso?

Svindal: Weil das größer ist als ein Sieg in Kitzbühel.

Ihr Kollege Felix Neureuther kritisierte zuletzt öfters, dass der eigentliche Gedanke der Olympischen Spiele zerstört wurde. Hat er Recht?

Svindal: Ja, Felix hat Recht. Der Spirit wurde zerstört. Wir müssen uns nur ansehen, welche Städte gegen die Austragung der Spiele waren: Tirol sagte Nein, München und Garmisch sagten Nein, Oslo auch. Wenn solche Städte Nein sagen zu Olympia, dann stimmt etwas nicht.

Wo genau liegt das Problem der Winterspiele?

Svindal: Ich weiß es nicht. Aber Olympia hat ein großes Problem. Es geht nicht um den Sport, der ausgeübt wird, da passt alles. Es geht um etwas anderes. Wenn du das Interesse der Medien und der Leute siehst, dann weißt du, dass es groß ist.

Ist Asien ein guter Boden für die Spiele oder wollen Sie zurück nach Europa?

Svindal: Ich finde es gut, dass wir nach Asien gehen. Es ist auch gut, dass wir nach Nordamerika gehen. Aber wir sollten immer irgendwohin gehen, wo es auch Wintersport gibt.

Sie sprechen die Spiele in Peking 2022 an?

Svindal: Genau. Gibt es Wintersport in Peking? In Südkorea ist es okay, da gibt es eine Grundlage. Aber das IOC hat angefangen, Olympische Spiele in Orte zu vergeben, wo es kein Fundament gibt. Das verstehe ich nicht. Das macht keinen Sinn.

Eine Schlussfrage noch: Wer sind Ihre Favoriten für Kitzbühel?

Svindal: Alle, die heuer gewonnen haben. Und auch Matthias Mayer habe ich hier auf der Rechnung.

Und Sie?

Svindal: Ich habe heuer zweimal gewonnen. Also bin ich wohl auch Favorit. (lacht)

Das Gespräch führte Roman Stelzl

Für Sie im Bezirk Kitzbühel unterwegs:

Harald Angerer

Harald Angerer

+4350403 2059

Michael Mader

Michael Mader

+4350403 3050

Theresa Aigner

Theresa Aigner

+4350403 2117