Hartz IV: „Sehr gute und wichtige Reform“
Weniger Arbeitslose: Der Münchner Ökonom Andreas Peichl verteidigt die Hartz-Reformen in Deutschland.
Von Serdar Sahin
Wien –In den späten 1990er- und frühen 2000er-Jahren wurde Deutschland oft als „kranker Mann Europas“ bezeichnet. „Weit über fünf Millionen Menschen waren damals arbeitslos, jetzt sind wir bei 2,5 Millionen“, erklärt Andreas Peichl vom Münchner ifo-Institut für Wirtschaftsforschung im Gespräch mit der Tiroler Tageszeitung.
Heute gilt Deutschland als ökonomisches Zugpferd in Europa. Eine Reihe von Faktoren hätten hier eine Rolle gespielt, sagt Peichl. So hätten sich die Gewerkschaften mit Lohnerhöhungen zurückgehalten. „Das Ganze wäre aber nicht möglich gewesen, wenn die Politik nicht über die Hartz-Reform entsprechend Druck auf den Arbeitsmarkt ausgeübt hätte.“
Zur Orientierung: Hierzulande plant die schwarz-blaue Regierung, das Arbeitslosengeld neu zu gestalten. So soll die Notstandshilfe abgeschafft und in das Arbeitslosengeld integriert werden. Nach dem Arbeitslosengeld soll man in die Mindestsicherung fallen. Der Staat würde dann auch auf eventuell vorhandenes Vermögen zugreifen. Experten sehen darin die Einführung von Hartz IV – so heißt das Modell für Sozialhilfe nach dem Arbeitslosengeld in Deutschland.
Die Hartz-Reformen, die unter der damaligen rot-grünen Regierung umgesetzt wurden, „waren darauf angelegt, den Arbeitsmarkt flexibler und moderner zu machen“, so der Ökonom. Das habe dazu geführt, dass ein Niedriglohnsektor geschaffen wurde, den es vorher fast gar nicht gegeben habe. Insbesondere für Langzeitarbeitslose habe es sich vor Hartz IV nicht gelohnt, für einen geringen Lohn zu arbeiten. Das hat sich dann geändert.
„Jetzt kann man darüber streiten, ob das gut oder schlecht ist. Man kann damit argumentieren, dass jemand arbeitet – vielleicht auch zu niedrigen Löhnen –, anstatt arbeitslos zu sein. Für Deutschland insgesamt waren das sehr gute und wichtige Reformen.“
Kritiker von Hartz IV weisen darauf hin, dass es jetzt mehr Menschen gibt, die trotz Arbeit arm sind. Das bestreitet Peichl auch nicht. Aber: „Die Armutsgrenze liegt bei 60 Prozent des mittleren Einkommens. Der Anteil der Menschen, die eben 60 Prozent oder weniger verdienen, hat zugenommen.“ Das habe aber damit zu tun, dass die mittleren Löhne stärker gestiegen seien. „Die Einkommen im Niedriglohnsektor sind weniger stark gestiegen, weil es da mehr Konkurrenz gibt.“