Moritz Bleibtreu: „Verbindung aus Theaterrecken und Straßenkötern“

Frankfurt am Main (APA/dpa) - Schauspieler Moritz Bleibtreu hat die Hauptrolle im Film „Nur Gott kann mich richten“ von Özgür Yildirim übern...

Frankfurt am Main (APA/dpa) - Schauspieler Moritz Bleibtreu hat die Hauptrolle im Film „Nur Gott kann mich richten“ von Özgür Yildirim übernommen. Gerade aus dem Gefängnis entlassen, versucht er darin als Gangster Ricky mit einem letzten krummen Ding genügend Geld für den Aufbau einer bürgerlichen Existenz zu bekommen. Mit der dpa sprach Bleibtreu über Straßenslang, Realismus und seinen Beitrag zum Film.

Frage: Sie sind zum ersten Mal auch Produzent. Was von Ihnen steckt im Film?

Moritz Bleibtreu: Die Idee, einen Soundtrack mit Rap-Musik zu machen, der parallel zum Filmstart rauskommt, stammt von mir. Die AON, also die „Alles oder Nix“-Jungs (Label von Xatar, Anm.) zu involvieren, war meine Idee. Das sind so Kleinigkeiten. Aber am Ende ist das ein Teamerfolg, das machen immer alle zusammen. Beim Cast habe ich auch mitgegondelt: Birgit (Minichmayr) ist eine Kollegin, die ich seit sehr langer Zeit kenne. Und Peter Simonischek habe ich schon in meiner Jugend als Schauspieler bewundert. Ich finde, es ist ein sehr schöner Cast, eine unheimlich schöne Verbindung aus wirklich gestandenen Theaterrecken und Straßenkötern. Diese Kombination macht sicherlich auch den Charme des Films aus.

Frage: Der Titel lautet „Nur Gott kann mich richten“. Warum?

Bleibtreu: Als ich den Titel zum ersten Mal gehört habe, dachte ich: Uiuiui, das ist aber ganz schön dick. Aber als ich das Drehbuch dann gelesen habe - und man trägt so was auch mit sich herum, und es reift - dann habe ich ganz schnell gedacht: Nee, ich find‘ das eigentlich einen super Titel. Denn es geht darum, dass Menschen das Richtige wollen und die falschen Mittel wählen, und die Frage, wer darüber urteilen sollte und wie. Und dass das nicht so einfach ist.

Frage: Obwohl die Männer im Film Gangster sind, fiebert man als Zuschauer mit ihnen mit. Wieso?

Bleibtreu: Die Motive der Figuren sind nobel. Nicht eine dieser Figuren tut gewollt etwas Böses oder will jemandem schaden. Im Gegenteil, eigentlich versuchen alle nur, etwas zu retten - und weil sie das versuchen, stoßen sie andere in den Abgrund. Es sind gute Menschen, die böse Taten vollbringen. Das ist eben genau die Frage, die der Film aufwirft: Ist ein guter Mensch, der eine böse Tat vollbringt, ein böser Mensch? Oder gibt es auch gute Menschen, die manchmal Scheiße bauen? Und auf der anderen Seite böse Menschen, die manchmal etwas Gutes tun?

Frage: Die Sprache im Film ist die Sprache der Straße, mit viel „Bruder“ und „wallah“. Überzeichnet der Film dabei?

Bleibtreu: Der Film untertreibt sogar. Die Realität ist noch viel krasser. In der Realität wird noch viel mehr gewallaht und gebrudert als in unserem Film. Wir haben das sogar bewusst zurückgenommen, weil wir gesagt haben: Wir wollen auch keinen Film haben, der nur brudert. Die Leute, die diese Sprache und ihre Werte wie Stolz und Ehre kennen und verstehen, sollen sich angesprochen fühlen, wenn sie den Film sehen. Das ist kein Film, der aus der Mehrheitsperspektive über diese Leute erzählt, sondern mit ihnen und auch für sie.

Frage: Was sagen denn Türken und Araber zu dem Film?

Bleibtreu: Das ist ein Film, den sich jeder Mensch angucken kann, der über 16 Jahre alt ist. Ich mache da keinen Unterschied. Der Film respektiert die Unterschicht und ist für sie da und arbeitet für sie. Aber es ist kein Film für Schwarzköpfe, also es dürfen ihn sich nicht nur Leute mit Migrationshintergrund angucken. Das wäre ja völliger Quatsch. Der Film gibt sich die Mühe zu sagen: Hey, diese Leute sind ein Teil von unserer Gesellschaft. Es bringt überhaupt nichts, sich hinzustellen und zu sagen, dass man alles anders will. Das ist die Realität - ob uns das passt oder nicht.

Frage: Der Film hat eine wahnsinnig realistische Anmutung. Wie realistisch ist er?

Bleibtreu: Es gibt keinen amerikanischen Film, wo diese Frage jemals gestellt wird. Das wird nur bei deutschen Filmen gefragt. Es ist auch völlig egal, denn es ist ein Film. Aber wenn es denn so interessant ist: Natürlich gibt es das. Das große Problem ist die Tatsache, dass sich immer noch Leute hinstellen und sagen, so etwas existiert bei uns in Deutschland nicht. Wenn man diese Situation negiert, negiert man die Lebensumstände dieser Menschen und damit die Menschen an sich. Natürlich gibt es das. Ja, es wird in Deutschland mit AK47 geschossen. Tatsache ist: Das passiert. Vielleicht nicht genau so wie in unserem Film, aber dass so etwas passiert, das ist sicher.

(Das Gespräch führte Doreen Fiedler/dpa)

(ZUR PERSON: Moritz Bleibtreu (46) ist der Sohn der Schauspieler Monica Bleibtreu und Hans Brenner. Er stand schon als Kind für die Fernsehserie „Neues aus Uhlenbusch“ vor der Kamera. Seinen Durchbruch feierte er schließlich 1997 mit der Komödie „Knockin‘ on Heaven‘s Door“. Seitdem drehte er Werke wie „Lola rennt“, „Das Experiment“ und mit Helmut Dietl „Vom Suchen und Finden der Liebe“. 2005 war er in Steven Spielbergs „München“ zu sehen. Ein Jahr später wurde er für seine Leistung in Oskar Roehlers Verfilmung des Skandalromans „Elementarteilchen“ von Michel Houellebecq mit dem Silbernen Bären als bester Schauspieler ausgezeichnet.)