Kontroverse Debatte auf SPD-Parteitag über Koalitionsverhandlungen

Bonn (APA/AFP/dpa) - Auf dem SPD-Sonderparteitag in Bonn sind Befürworter und Gegner einer erneuten Großen Koalition in Deutschland hart auf...

Bonn (APA/AFP/dpa) - Auf dem SPD-Sonderparteitag in Bonn sind Befürworter und Gegner einer erneuten Großen Koalition in Deutschland hart aufeinandergeprallt. Während SPD-Chef Martin Schulz und weitere Mitglieder der Parteispitze am Sonntag für die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen warben, stellten sich vor allem jüngere Delegierte dagegen.

Um Kritikern einer neuen Großen Koalition entgegenzukommen, wurde die Forderung nach Nachbesserungen der Sondierungsergebnisse von Union und SPD in den Leitantrag der Parteispitze aufgenommen.

„Es geht in diesen Tagen um viel“, sagte Schulz in seiner Parteitagsrede. Er wandte sich gegen die besonders von den Jungsozialisten erhobene Forderung, auf keinen Fall in eine neue Regierung einzutreten. „Das ist nicht mein Weg, das ist nicht meine Haltung, dafür bin ich nicht in die Politik gegangen“, sagte Schulz dazu. Die SPD müsse „mindestens ausloten, was an Verbesserungen für die Menschen in Deutschland und Europa erreichbar ist“.

Nachdrücklich hob der SPD-Chef Erfolge in den Sondierungsverhandlungen hervor: die paritätische Finanzierung der Krankenversicherung, Verbesserungen bei der Pflege, „Grundrente“ und Sicherung des Pensionsniveaus, „damit Menschen, die ihr Leben lang geackert haben, nicht im Alter von Armut bedroht werden“. Ein „Leuchtturmprojekt“ sei zudem die Bildungspolitik.

Zudem sei eine sozialdemokratische Regierungsbeteiligung die Voraussetzung für „einen Paradigmenwechsel in der Europapolitik“, betonte Schulz. Daher „bitte ich Euch um Vertrauen“. Er kündigte zugleich eine härtere Gangart gegenüber der Union in der Regierungszusammenarbeit an.

Gegen eine neue Große Koalition wandte sich Juso-Chef Kevin Kühnert. Der neu formulierte Antrag sei ein „ehrenwerter Versuch“, doch was die SPD brauche, sei eine Brücke aus „Erneuerung und Vertrauensbeweisen“ und „nicht aus weiteren Spiegelstrichen, denn an denen mangelt es uns nicht“. Nach zwölf Jahren Regierungszeit der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) seien die Gemeinsamkeiten aufgebraucht. Ein Nein jetzt bedeute nicht „das Ende der SPD“, sondern „kann der Beginn einer neuen Geschichte werden“.

Die Delegierten sollen am Nachmittag über die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen mit CDU und CSU abstimmen. Auf Druck vor allem des mächtigen nordrhein-westfälischen Landesverbands der SPD wurde in den Leitantrag zusätzlich die Forderung nach Nachbesserungen der mit der Union ausgehandelten Sondierungsergebnisse aufgenommen.

In den Sondierungen seien neben vielen positiven Ergebnissen „in für uns essenziellen Projekten für mehr Sicherheit im Arbeitsleben, für mehr Gerechtigkeit in unseren Sozialsystemen und für eine humanitäre Flüchtlingspolitik nur unzureichende Ergebnisse erreicht worden“, heißt es nun in dem Text. Konkret gefordert werden unter anderem eine zusätzliche Härtefallregelung beim Familiennachzug für Flüchtlinge, Schritte hin zu einem Ende der Zwei-Klassen-Medizin sowie eine Eindämmung befristeter Arbeitsverhältnisse.

In den Koalitionsverhandlungen müssten daher „in den genannten Bereichen konkret wirksame Verbesserungen erzielt werden“, heißt es weiter. Harte Bedingungen für eine Regierungsbeteiligung werden aber nicht formuliert.

„Wir werden uns in intensiven Verhandlungen dafür einsetzen, noch mehr zu erreichen“, versicherte gleichwohl SPD-Vize Malu Dreyer. Der Landeschef von Nordrhein-Westfalen, Michael Groschek, zeigte sich mit den erreichten Änderungen zufrieden. Er warnte seine Partei davor, mit einem Nein zu Koalitionsverhandlungen würde sie „Möglichkeiten liegen lassen“.

SPD-Chef Schulz erhielt für seine Rede nur verhaltenen Beifall von lediglich einer Minute. Die anschließenden Reden von Gegnern einer Großen Koalition wurden deutlich lauter bejubelt. Für die Parteitagsdebatte gab es mehr als 100 Wortmeldungen.

Bei einem Ja könnten die Verhandlungen für eine Neuauflage der Großen Koalition noch in der kommenden Woche beginnen. Sollten die Genossen dagegen mehrheitlich Nein sagen, wäre nach dem Aus für eine Jamaika-Koalition auch der zweite Anlauf zur Regierungsbildung in Deutschland gescheitert. Die SPD würde bei einem Nein wahrscheinlich in eine tiefe Krise stürzen. Ein Rücktritt von Parteichef Schulz gilt für diesen Fall als wahrscheinlich.