Auf der Straße sieht man die Not nicht - Armut in der Ukraine
Charkiw (Charkow) (APA) - „Auf der Straße sieht man die Not nicht, man muss in die Häuser gehen, um sie zu sehen.“ Wenn man in das kleine Zi...
Charkiw (Charkow) (APA) - „Auf der Straße sieht man die Not nicht, man muss in die Häuser gehen, um sie zu sehen.“ Wenn man in das kleine Ziegelhäuschen von Roxana kommt, weiß man, was Sozialarbeiter in der Ukraine damit meinen. Bei rund zehn Grad Außentemperatur heizt nur ein Mini-Radiator zwei kleine Räume des Hauses am Stadtrand von Charkiw. Mit 110 Euro monatlich muss Roxana sich und drei Kinder versorgen.
Strom und Gas bezieht die Alleinerziehende ermäßigt - wie alle „kinderreichen“ Familien in der Ukraine. Doch sind seit Kurzem die Gasleitungen eingefroren. Roxana wird wohl den ganzen Winter über das Haus nicht richtig heizen können. Eine Reparatur kann sie sich derzeit nicht leisten. Und auch an andere, dringend notwendige Arbeiten in dem spartanisch eingerichteten Haus ist nicht zu denken. Der morsche Boden im Haus ist behelfsmäßig mit alten Platten ausgelegt, die Fenster in den restlichen drei unbeheizten - und deshalb fast ungenutzten - Räumen sind teilweise gebrochen. Die Küche ist heruntergekommen und nur mit dem notwendigsten ausgestattet.
Früher, als ihr Mann noch lebte, war alles etwas einfacher, sagt die 44-Jährige. „Auch damals hatten wir nicht viel Geld, aber zumindest hatte ich nicht die Sorge, was ich meinen Kindern morgen zum Frühstück geben soll“, erzählt sie. Trotz der finanziellen Engpässe legt Roxana viel Wert auf eine gute Ausbildung für ihre drei Kinder - Eva, Demir und Kira. So konnte sie es auch irgendwie ermöglichen, dass der 12-jährige Demir den Schachklub besucht, die Mädchen Tanzausbildungen absolvieren und Kira (10) Klavier lernt. Wann immer es ihr möglich ist, sitzt sie nun mit ihrer dicken Winterjacke in einem der eiskalten Räume und übt auf dem Piano.
Dieses kleine Stück Leichtigkeit, das Roxana ihren Kindern mit diesen Freizeitaktivitäten ermöglicht, ist es auch, das die Kinder trotz widriger Umstände fröhlich und die Familie insgesamt zuversichtlich erscheinen lässt. Ganz nahe sitzen die vier nebeneinander auf dem Bett, das untertags als Couch dient, als die Kinder von ihren Träumen und Plänen für die Zukunft berichten.
Die älteste Tochter Eva, die ihre Schwester immer wieder liebevoll in den Arm nimmt, träumt davon, Journalistin oder Übersetzerin zu werden. Seit zehn Jahren schon lernt sie Deutsch und wenn sie gut genug ist, sagt die 15-Jährige, möchte sie nach Deutschland oder Österreich gehen. Kira möchte später mit Tieren arbeiten und Demir will Jus studieren, aber auch „Straßen reparieren“ und Psychiater werden. Diese seien derzeit in der Ukraine „sehr notwendig“, erklärt er selbstsicher. Tatsächlich steigt der Bedarf an psychosozialer Betreuung mit jedem Tag, den der Konflikt in der Ostukraine andauert - doch die wenigsten können sich die professionelle Hilfe leisten.
Die Caritas Österreich unterstützt Roxana, Eva, Demir und Kira mit Hilfe einer ukrainischen Partnerorganisation bei diversen Amtsgängen (um staatliche Unterstützung zu erhalten), aber auch in Form von Gutscheinen für Lebensmittel oder Kleidung. In einem der Kinderzentren in Charkiw, der zweitgrößten ukrainischen Stadt, das die Caritas mitfinanziert, konnte Eva einen Journalistik-Kurs besuchen. Von den vielfältigen Lern- und Freizeitangeboten in dem Zentrum mitten in der Plattenbausiedlung Saltovka profitieren Hunderte Kinder aus sozial benachteiligten Familien.
„Ein Kind ist ein Kind, egal wo seine Wiege stand“, betont Caritas-Präsident Michael Landau zum Start der Aktion „TräumeGrößerTränen“, mit der notleidenden Kindern in Krisenregionen Momente unbeschwerter Kindheit ermöglicht werden sollen. „Jedes Kind hat Recht auf Träume, Wachstum“, so Landau vor österreichischen Journalisten in Charkiw.
Schon vor Beginn des Krieges im Osten des Landes im Jahr 2014 lebten viele Menschen unter prekären Verhältnissen, danach brach die Wirtschaft ein, die hohe Inflation trieb noch mehr Menschen in die Armut. Zwar wächst die Wirtschaft nun wieder moderat (2016: 2,3 Prozent), die Kampfhandlungen, die zumindest in der Pufferzone anhalten, stellen jedoch weiterhin ein Risiko bzw. einen Destabilisierungsfaktor dar. 3,3 Millionen Menschen sind laut UNO derzeit auf humanitäre Hilfe angewiesen, 1,2 Millionen haben zu wenig zu essen.
Es ist eine „unsichtbare humanitäre Krise“, umreißt der Präsident der griechisch-katholischen Caritas Ukraine, Andrij Waskowycz, die Situation. „Leider ist der Konflikt aus den Schlagzeilen verschwunden, obwohl er so nahe an die Grenzen der EU und Österreich dockt. Scheinbar gibt es noch immer einen Eisernen Vorhang, hinter dem wir den einzigen europäischen Krieg verstecken“, kritisiert Landau. „Hier kämpfen Menschen ums Überleben. Das ist ein Stück Realität mitten in Europa, damit dürfen wir uns nicht abfinden.“
(INFO: Caritas Spendenkonto - Erste Bank: IBAN AT23 2011 1000 0123 4560, BIC GIBAATWWXXX, Kennwort: Kinder in Not. Online-Spenden unter www.caritas.at/kinder)
(Die Reise in die Ukraine wurde zum Teil von Sponsoren der Caritas Österreich finanziert. Weitere, im Rahmen der Reise entstandenen Meldungen, inklusive eines Bildes, sind am 26. Jänner veröffentlicht worden und im AOM abrufbar.)
~ WEB http://www.caritas.at/ ~ APA040 2018-02-08/06:02