Chaostage bei der SPD
Berlin (APA/AFP) - Um 14.14 Uhr am Freitag lässt Martin Schulz eine Erklärung verbreiten, die das Ende seiner kurzen bundespolitischen Karri...
Berlin (APA/AFP) - Um 14.14 Uhr am Freitag lässt Martin Schulz eine Erklärung verbreiten, die das Ende seiner kurzen bundespolitischen Karriere markiert. Der scheidende SPD-Chef kündigt darin an, auf das Außenministeramt in einer neuen Großen Koalition zu verzichten, das er zwei Tage zuvor nach der Koalitionseinigung noch für sich reklamierte. Das Personalchaos droht das Mitgliedervotum der Sozialdemokraten über eine Neuauflage der Großen Koalition zu überlagern.
Hinter den 173 Wörtern der Schulz-Erklärung verbirgt sich nicht nur die dramatische Geschichte des früheren EU-Parlamentspräsidenten, der vor knapp einem Jahr die SPD bei der Übernahme des Parteivorsitzes in einen Zustand der Euphorie versetzte, dann ein historisch schlechtes Bundestagswahlergebnis einfuhr und schließlich mit dem Zick-Zack-Kurs bei der Frage einer Regierungsbeteiligung seine Glaubwürdigkeit verspielte. Der Vorgang wirft auch ein Schlaglicht auf die Zerrissenheit der Sozialdemokraten, die nur widerwillig auf ein neues Bündnis mit der Union zusteuern.
„Wir alle machen Politik für die Menschen in diesem Land. Dazu gehört, dass meine persönlichen Ambitionen hinter den Interessen der Partei zurück stehen müssen“, heißt es in der Mitteilung von Schulz. Daher erkläre er seinen Verzicht auf den Eintritt in die Bundesregierung und hoffe „gleichzeitig inständig, dass damit die Personaldebatten innerhalb der SPD beendet sind“. Für ihn sei es „von höchster Bedeutung“, dass die SPD-Mitglieder den Koalitionsvertrag billigen.
Die Respektbekundungen aus den Reihen der Sozialdemokraten lassen nicht lange auf sich warten. Nach Ansicht von Bundestagsfraktionschefin Andrea Nahles, die schon am Mittwoch zur Schulz-Nachfolgerin an der Parteispitze nominiert wurde, zeugt der Entschluss von „beachtlicher menschlicher Größe“.
Auch der nordrhein-westfälische SPD-Landesverband, der maßgeblich auf einen Verzicht von Schulz auf ein Ministeramt gedrungen haben soll, zollt „großen Respekt“. Schulz leiste „einen notwendigen Beitrag dazu, die Glaubwürdigkeit der SPD zu stärken“.
Ein Argument der Gegner einer „GroKo“-Neuauflage ist, dass die SPD nach der Schlappe bei der Bundestagswahl ursprünglich in die Opposition gehen wollte. Die Kehrtwende unter dem Eindruck der gescheiterten Jamaika-Sondierungen hat die gesamte SPD-Spitze durchgezogen.
Zum Verhängnis wird Schulz persönlich aber seine klare Aussage nach der verlorenen Wahl: „In eine Regierung von Angela Merkel werde ich nicht eintreten.“ Als der Parteichef am Mittwoch seinen Wechsel an die Spitze des Außenministeriums ankündigt, brodelt es in der Partei.
Für zusätzlichen Zündstoff sorgt am Donnerstagabend eine verbittert klingende Stellungnahme von Sigmar Gabriel, dem geschäftsführenden Außenminister und Schulz‘ Vorgänger als SPD-Chef. Schulz und Gabriel nannten sich einmal Freunde, soweit das im politischen Bereich möglich ist. Doch spätestens seit dem vergangenen Sommer, als Gabriel dem Kanzlerkandidaten mit nicht abgesprochenen Wortmeldungen in die Parade fuhr, gilt ihr Verhältnis als angespannt.
In seiner Reaktion auf die Schulz-Ambitionen auf das Außenministeramt beklagt Gabriel, „wie respektlos bei uns in der SPD der Umgang miteinander geworden ist und wie wenig ein gegebenes Wort noch zählt“. Damit spielt er offenbar auf ein angebliches Versprechen von Schulz an, dass Gabriel im Fall einer neuen Großen Koalition Außenminister bleiben dürfe.
Nach dem Schulz-Verzicht mahnt Bundestagsvizepräsident Thomas Oppermann (SPD) in der „Neuen Osnabrücker Zeitung“, die „zerstörerischen Personaldiskussionen“ sofort zu beenden. Auch andere SPD-Spitzenpolitiker rufen dazu auf, jetzt endlich über die Inhalte des Koalitionsvertrags zu diskutieren, um die Zustimmung der Parteibasis nicht zu gefährden.
Juso-Chef Kevin Kühnert, Wortführer der „NoGroKo“-Bewegung in der SPD, prophezeit dagegen: „Jetzt wird die Debatte über andere Person losgehen, macht‘s jetzt Sigmar Gabriel oder nicht.“ Ungefähr zur gleichen Zeit am Freitagnachmittag fordert der Sprecher des konservativen SPD-Flügels, Johannes Kahrs, auf Twitter den Verbleib von Gabriel als Außenminister.