Neue Aufgaben für die deutsche Bundeswehr im Irak
Bagdad/Berlin (APA/Reuters) - Wie stählerne Käfige überspannen Checkpoints mehrere hundert Meter weit immer wieder die Straße. Starke Strahl...
Bagdad/Berlin (APA/Reuters) - Wie stählerne Käfige überspannen Checkpoints mehrere hundert Meter weit immer wieder die Straße. Starke Strahler tauchen die durchfahrenden Autos in fahles Licht. Soldaten stehen neben einem mit Maschinengewehr bewaffneten Humvee und beobachten die Wagenschlange. Es ist Freitagabend, muslimisches Wochenende, und daher wenig los an der Einfahrt zur massiv gesicherten Grünen Zone von Bagdad.
An gewöhnlichen Tagen stehen Autofahrer hier mehr als eine halbe Stunde im Stau: So sieht die Normalität in der irakischen Hauptstadt auch nach dem weitgehenden Sieg über die Extremistenmiliz IS aus. Die Lage ist fragil, allein in den vergangenen Wochen gab es mehrere schwere Anschläge. Der Krieg ist vielleicht gewonnen, aber Frieden herrscht noch lange nicht.
Das ist auch der deutschen Botschaft anzusehen, die zum Schutz vor Bombenanschlägen tief im Innern eines verwinkelten Labyrinths aus mehrere Meter hohen Betonmauern residiert. Vor dem Gebäude steht die deutsche Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen und begründet, warum der Sieg über den IS für die Bundeswehr nicht das Ende ihres Engagements im Irak bedeuten wird. Der Einsatz werde sich aber ändern. Die deutschen Soldaten sollen die einheimischen Truppen künftig verstärkt auch im Zentralirak und in Bagdad ausbilden und beraten. Bisher hat die Bundeswehr in der Hauptstadt nur einzelne Berater im Einsatz. Die irakische Regierung wünsche sich unter anderem Hilfestellung in der Logistik-Ausbildung sowie die Vermittlung von Kenntnissen zur Versorgung Verwundeter.
„Alle wissen, dass der IS zwar geschlagen ist, aber noch lange nicht ganz besiegt“, warnt von der Leyen. Es gebe immer noch Rückzugsgebiete des IS, und die Extremistenmiliz versuche, wieder an Stärke zu gewinnen. „Das heißt, wir müssen auch sehr wachsam sein.“ Bisher bilden 150 deutsche Soldaten kurdische Peschmerga-Kämpfer im Norden des Landes in den Grundfähigkeiten des militärischen Handwerks aus. Im Koalitionsvertrag haben Union und SPD vereinbart, diesen Einsatz auslaufen zu lassen. Zugleich soll der Anti-IS-Einsatz verändert und in einen Einsatz zur langfristigen Stabilisierung des Irak umgebaut werden.
Unter dem Anti-IS-Mandat starten Tornado-Jets der Bundeswehr bisher vom jordanischen Stützpunkt Al-Asrak aus zu Aufklärungsflügen über Syrien und dem Irak. Zudem versorgt ein deutsches Tankflugzeug Flugzeuge der Anti-IS-Koalition in der Luft mit Sprit. Dieser Teil des Einsatzes dürfte bestehen bleiben, künftig aber wohl um militärische Ausbildung und Beratung im Irak ergänzt werden. Die mit 1200 Soldaten recht üppig angesetzte Obergrenze soll trotz der neuen Aufgaben deutlich gesenkt werden. Aktuell sind in Jordanien etwa 300 Soldaten im Einsatz.
Die USA, die noch mehr als 5000 Soldaten im Land haben, drängen die NATO-Partner schon seit einiger Zeit, sich an einem langfristigen Ausbildungs- und Beratungseinsatz in Irak zu beteiligen. US-Verteidigungsminister Jim Mattis schlug nach Angaben von Diplomaten die Einrichtung von Militärschulen vor. Zudem plädierte er dafür, die Soldaten im Entschärfen von Bomben, für die Wartung von Fahrzeugen und für Sanitätseinsätze auszubilden. Zur Größe einer solchen Mission, die auch der irakische Ministerpräsident Haider al-Abadi befürwortet, äußerte sich Mattis nicht. Bisher hat die NATO weniger als 20 Ausbilder im Irak im Einsatz. Das Thema wird auch beim NATO-Verteidigungsministertreffen kommende Woche in Brüssel eine Rolle spielen, an dem von der Leyen ebenfalls teilnimmt. Im Juli auf einem NATO-Gipfeltreffen könnte eine Entscheidung darüber fallen.
Mattis‘ Vorschläge zeigen, wo der Bedarf im Irak liegen könnte. Und die Deutschen haben bereits Erfahrung darin, genau diese Fertigkeiten auch an andere Armeen zu vermitteln: Im Norden Afghanistans etwa baute die Bundeswehr eine Pionierschule auf, an der unter anderem das Entschärfen von Sprengfallen gelehrt wird. Für die deutsche Politik allerdings käme die NATO-Entscheidung zu spät. Die Voraussetzungen für den Einsatz dürften erst im Herbst geschaffen sein. Das Mandat für die Peschmerga-Ausbildung aber läuft schon Ende April aus - und militärisch würde es wenig Sinn machen, Truppen und Material aus Erbil zurückzuholen, um sie dann wenige Monate später wieder in den Irak zu schicken. Die deutsche Bundesregierung muss damit weit vor einer Entscheidung der NATO ein neues Mandat für den Irak-Einsatz in den Bundestag einbringen. Er dürfte damit vorerst weiter wie bisher unter dem Dach der Anti-IS-Koalition angesiedelt bleiben.
Die internationale Gemeinschaft beobachtet unterdessen mit Sorge, dass die politische Lage in Irak zuletzt wieder instabiler wurde. Seit der IS als gemeinsamer Feind weitgehend besiegt ist, brechen alte Gräben zwischen den Volksgruppen und Parteien wieder auf, und die Spannungen wachsen. Ein erstes Zeichen war das international kritisierte Unabhängigkeitsreferendum der Kurden im Norden. In den folgenden Kämpfen eroberten irakische Truppen weite Landstriche zurück, die die Kurden im Kampf gegen den IS über ihr bisheriges Gebiet hinaus dazugewonnen hatten. Dass dazu auch die Ölstadt Kirkuk zählt, war wirtschaftlich ein herber Rückschlag für die ohnehin mit massiven Finanzproblemen kämpfenden Kurden. Seither gibt es wieder erste Annäherungen zwischen den Regierungen in Erbil und Bagdad, ausgestanden ist die Krise damit aber noch nicht.
Auch den irakischen Zentralstaat drücken Geldsorgen. Als zweitgrößter Erdölproduzent der OPEC ist der Irak zwar eigentlich ein reiches Land. Dennoch kann auch die Zentralregierung in Bagdad den Wiederaufbau nach dem Krieg nicht allein stemmen. Bis zu 100 Milliarden Dollar (81,5 Mrd. Euro) seien nötig, um die im Krieg zerstörten Städte wieder aufzubauen, sagte Abadi kürzlich. In Kuwait soll daher in den kommenden Tagen eine Geberkonferenz für den Irak stattfinden.
Ein wichtiger Meilenstein sowohl für die militärische wie auch die wirtschaftliche Stabilisierung dürfte der 12. Mai sein: In einer Parlamentswahl werden die irakischen Bürger darüber entscheiden, ob der vom Westen als Partner geschätzte Abadi weiter Ministerpräsident bleibt oder abgelöst wird. Zu Abadis Herausforderern zählen sein Vorgänger Nuri al-Maliki, der vielen Sunniten noch aus seiner früheren Amtszeit verhasst ist, und Hadi al-Amiri, der Anführer der schiitischen Badr-Organisation. Ihre paramilitärischen Verbände trugen maßgeblich zum Sieg über den IS bei. Zugleich gilt die Bewegung als eines der wichtigsten Instrumente des Iran, um seine Interessen im Irak durchzusetzen. Experten vergleichen ihre Rolle zunehmend mit der der radikal-islamischen Hisbollah als Statthalterin des Iran in Libanon. Der Wahlausgang gilt als offen. Sollten Maliki oder Amiri den Sieg davon tragen, könnte der Westen seine Hilfsangebote noch einmal überdenken.