Kino

Shape of Water: Das Mädchen und das Monster

Sally Hawkins spielt ausdrucksstark die stumme Elisa Esposito.
© Centfox

Guillermo del Toro verschmilzt in seinem für 13 Oscars nominierten Drama „Shape of Water“ das Kino der Fantastik mit Kalter-Krieg-Paranoia.

Von Marian Wilhelm

Innsbruck –Elisa Esposito, ausdrucksstark gespielt von der Britin Sally Hawkins, ist stumm. Nach Feierabend als Putzfrau in einer geheimen militärischen Forschungseinrichtung träumt sie bevorzugt im wunderschönen alten Orpheum-Kino oder vor dem Fernseher zu Fred-Astaire-Musicals, zusammen mit ihrem älteren Nachbarn. Ihre Wohnung liegt praktischerweise direkt über dem Kin­o. Man darf sich diese Frau als amerikanische Cousine von Amélie Poulain vorstellen. Wie ihr Alter Ego in Paris hat sie sich ihren eigenen Schutzraum innerhalb einer unbarmherzigen Gesellschaft eingerichtet. Erst die romantische Begegnung mit einem Wassermann bringt Unruhe in ihr stilles Leben. Ihre neugierige und zärtliche Annäherung an das fremde Wesen ermöglicht eine Verständigung über die Grenzen der Rasse (oder Spezies) hinaus. Es ist eine „Geschichte von Liebe und Verlust“, wie Elisa­s Nachba­r als Erzähler des Films meint.

So wie die Hauptfigur gleicht auch die Bildgestaltung Jean-Pierre Jeunets „Amélie“: In satten roten und grünen Farben und nostalgischen Settings verbreiten sie vor allem bei Elisa zu Hause ein warmes Gefühl inklusive träumerischer Wasser-Aufnahmen.

In der Militärbasis geht es dagegen kühl und grau zu. Die 50er und frühen 60er werden gerade im Licht des gegenwärtigen Amerika wieder verstärkt als eine Zeit brutaler unterschwelliger Gewalt und Konflikte dargestellt, zuletzt etwa in George Clooneys „Suburbicon“.

In „Shape of Water“ ist diese Gewalt in der Gestalt des sadistischen Geheimdienstlers Richard Strickland personifiziert. Er wird idiosynkratisch und nachvollziehbar dargestellt von Michael Shannon, einem der zurzeit markantesten Charakterdarsteller. Der weiße Familienvater Strickland überwacht als „Kalter Krieger“ mit seinem Elektroschockgerät die Experimente am Wassermann-Monster, das – natürlich – dem Kampf gegen den kommunistischen Feind dienen soll. Daneben liest der Karrierist „Die Kraft des positiven Denkens“. Doch gerade er hat mit seinen eigenen Ansprüchen an konservative Perfektion und chauvinistische Härte zu kämpfen und unterschätzt die Außenseiter rund um ihn herum.

Eine dieser Außenseiterinnen ist Elisas afroamerikanische Kollegin Zelda (Octavia Spencer), die ihr mit Rat und Stimme zur Seite steht. Und auch Elisas Nachbar (Richard Jenkins) ist mit seiner angedeuteten Homosexualität weit entfernt vom konservativen Mainstream jener Zeit.

Der Gothic-& Gore-Liebhaber Guillermo del Toro („Hellboy“) verschmilzt in diesem Märchen-Monster-Film also das fantastische Element mit der Spionage-Geschichte, „die Vermählung des Ordentlichen mit dem Außerordentlichen“, wie er selbst sagt. Schon in seinem hochgelobten spanischsprachigen Film „Pan’s Labyrinth“ ließ er 2006 Traumwesen und brutale Wirklichkeit der Franco-Diktatur noch durch die Fantasie eines Kindes in Beziehung treten.

Für del Toro ist „Fantasy-Horror eines der politischsten Filmgenres überhaupt, wahrscheinlich fasziniert es mich deshalb so. In kaum einem anderen Filmgenre kann man so deutlich politisch sein.“ Der Mexikaner ist ein detailverliebt einfallsreicher und zutiefst visueller Filmemacher. Zuletzt interpretierte er in „Crimson Peak“ das Geisterhaus-Genre neu und lieferte mit „Pacific Rim“ einen der spektakellastigsten Action-Reißer ab, der schon allein deshalb aus dem gängigen Blockbusterkino herausragte, weil es sich um keine Comic-Verfilmung handelte.

Als Monster-Darsteller begleitet ihn seit „Hellboy“-Zeiten Doug Jones, der nun als männliche Meerjungfrau unter einer dicken Maske keine Worte für große Gefühle finden muss. Inspiration lieferte den beiden der 50er-Autokino-Klassiker „Creature from the Black Lagoon“.

„Shape of Water“ ist eine märchenhafte Parabel, die mit ihrer politischen Interpretierbarkeit bei ihrer Weltpremiere bei den Filmfestspielen von Venedig mit dem Goldenen Löwen ausgezeichnet wurde.

Jetzt könnte sie zudem zum Film des Jahres werden. Schließlich ist „Shape of Wate­r“ für 13 Oscars nominiert. Dass Guillermo del Tor­o, der zuletzt den Preis der Regisseursgewerkschaft erhielt, am 4. März den Oscar als bester Regisseu­r entgegennehmen wird, gilt jedenfalls als ausgemachte Sache.