Wahlkämpfer in Italien drehen am Zeiger der Schuldenuhr

Rom (APA/Reuters) - „Jedes Versprechen bedeutet Schulden - denke daran“: Diese Mahnung an die italienischen Wähler springt jedem ins Auge, d...

Rom (APA/Reuters) - „Jedes Versprechen bedeutet Schulden - denke daran“: Diese Mahnung an die italienischen Wähler springt jedem ins Auge, der am Hauptbahnhof in Rom die dort installierte Schuldenuhr erspäht.

Aufgestellt hat sie eine Denkfabrik. Diese bangt wegen der Versprechen der Parteien vor der Parlamentswahl am 4. März um die finanzielle Stabilität des Staates. Italien hat gemessen an der Wirtschaftskraft ohnehin schon den zweithöchsten Schuldenberg in der Eurozone - nur überragt von Griechenland.

Das in Umfragen führende konservative Bündnis um den Ex-Regierungschef Silvio Berlusconi wirbt mit Steuersenkungen, höheren Pensionen und mehr Sozialausgaben. Auch die populistische Fünf-Sterne-Bewegung und die regierende Demokratische Partei (PD) sind kaum weniger gönnerhaft. Zugleich wollen alle das Kunststück vollbringen, die Staatsschuld in den kommenden Jahren einzudämmen.

Ökonomen schütteln den Kopf darüber, da diese Rechnung nach gängiger Lehrmeinung nicht aufgehen kann. Manche Experten warnen: Italien, das Anfang des Jahrzehnts in der Euro-Krise als angezählt galt, könnte erneut in Turbulenzen geraten, falls die Wahlsieger ihre Vorstellungen in die Tat umsetzen.

„Es wäre wie 2011, nur schlimmer“, befürchtet Wirtschaftsprofessor Roberto Perotti von der Bocconi-Universität in Mailand. Er schätzt, dass das Programm des Mitte-Rechts-Bündnisses den Schuldenstand entgegen der Versprechungen nicht senken, sondern massiv nach oben treiben wird. Perotti erwartet, dass die Schuldenstandsquote jedes Jahr um sieben Prozentpunkte anwachsen würde.

Bereits jetzt ist diese von der EU-Kommission seit Jahren kritisch beäugte Kennziffer weit über die Grenze hinausgeschossen, die im europäischen Stabilitätspakt gesetzt worden ist: Statt der erlaubten maximal 60 Prozent der Wirtschaftsleistung bringt es Italien auf 132 Prozent.

Die Parteien wollen mit ihren Plänen jedoch die Wachstumskräfte Italiens entfesseln, dessen Wirtschaft lange Zeit vor sich hindümpelte und jetzt im Aufschwung den anderen Schwergewichten der Eurozone hinterherhinkt. Berlusconis Forza Italia, um die sich der Mitte-Rechts-Block gruppiert, verspricht, den Schuldenberg binnen fünf Jahren auf „nur“ noch 100 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung verkleinern zu können. Die Mittel-LInks-PD von Ministerpräsident Paolo Gentiloni hat das selbe Ziel im Auge, veranschlagt dafür aber die doppelte Zeit. Und die Fünf-Sterne-Bewegung will den Schuldenstand binnen zehn Jahren sogar auf rund 90 Prozent des Bruttoinlandsprodukts eindampfen.

„Das sind Tricksereien. Es werden einfach Zahlen gegriffen, die keinen Sinn ergeben“, kritisiert Wirtschaftsprofessor Perotti. Seine frühere Tätigkeit als Regierungsberater für Finanzfragen hat seinen Blick für das politisch Machbare geschärft. Auch der frühere Chefökonom im Finanzministerium, Lorenzo Codogno, traut den Wahlversprechen der Parteien von links bis rechts nicht über den Weg. Falls umgesetzt, würden sie „in jedem Fall“ zu einer Erhöhung der Schulden führen. Es sei „überhaupt nicht plausibel“, dass das Problem über mehr Wachstum zu lindern sei.

Forza Italia geht jedoch genau mit diesem Versprechen auf Wählerfang: Ein kräftiger Aufschwung soll durch eine Einheitssteuer - der sogenannten Flat Tax - sowie die gleichzeitige Streichung von Steuervergünstigungen für Familien und Firmen erreicht werden: So sollen Subventionen für Hausrenovierungen und auch Investitionszulagen für Firmen dem Rotstift zum Opfer fallen. In der Vergangenheit hatten die Politiker in Italien jedoch selten den Mut, hier die Axt anzusetzen. Zu groß war ihre Furcht, dass die Wähler ihnen solche Streichorgien nicht verzeihen würden.

Ökonom Codogno wundert es, dass die Wahlversprechen der italienischen Parteien die Anleger an den Kapitalmärkten bisher kalt lassen. Offenbar setzten die Investoren darauf, dass die Pläne in der Schublade blieben. Doch diese Hoffnung sei trügerisch. Wenn etwa die Flat Tax und höhere Sozialleistungen kommen sollten, werde es für Italien richtig teuer: „Die Parteien werden nicht alles umsetzen, doch einiges wohl schon.“