Deutschland

Gladbecker Geiseldrama: Degowski nach fast 30 Jahren frei

Die bewaffneten Geiselnehmer Dieter Degowski (l) und Hans-Jürgen Rösner stehen am 17.8.1988 in dem in Bremen gekaperten Linienbus (Archivfoto vom 17.08.1988). Vorne sitzt die später getötete Silke Bischoff (hinter der Haltestange), rechts Ines Voitle.
© dpa/A9999 Db Ingo Wagner

Zwei Geiselnehmer flüchteten 1988 nach einem missglückten Bankraub quer durch Deutschland. Drei Menschen starben. Nun ist einer der Täter frei.

Essen – Der zu lebenslanger Haft verurteilte Gladbecker Geiselgangster Dieter Degowski ist am Donnerstag in Deutschland aus der Haft entlassen worden. Dies bestätigte die Leiterin der Justizvollzugsanstalt Werl, Maria Look, am Freitag. Demnach hat offenbar die Staatsanwaltschaft keine Beschwerde gegen einen Gerichtsbeschluss einlegt, wonach Degowski nach fast 30 Jahren Haft auf freien Fuß kommen sollte.

Degowski hatte bei der Geiselnahme von Gladbeck im August 1988 mit seinem weiterhin inhaftierten Komplizen Hans-Jürgen Rösner eine Bank in der Ruhrgebietsstadt überfallen und mehrere Geiseln genommen. Im Verlauf ihrer dreitägigen Flucht erschossen die Täter zwei Geiseln, ein Polizist kam während des Einsatzes durch einen Verkehrsunfall ums Leben. Das Gladbecker Geiseldrama ging als eines der spektakulärsten Schwerverbrechen in die deutsche Kriminalgeschichte ein.

Das Verhalten der beteiligten Journalisten, die die Täter interviewten, im Fluchtfahrzeug mitfuhren und durch ihre große Nähe zum Geschehen die Polizeiarbeit behinderten, entfachte eine intensive öffentliche Debatte über Verantwortung und Grenzen des Journalismus.

Gericht stellte besondere Schwere der Schuld fest

Wegen des Verbrechens wurden Degowski und Rösner 1991 vom Landgericht Essen zu lebenslanger Haft verurteilt. Später stellten Gerichte bei beiden Tätern eine besondere Schwere der Schuld fest, was eine vorzeitige Haftentlassung nach 15 Jahren ausschloss. Dabei wurde für den in Werl inhaftierten Degowski eine Mindesthaftdauer von 24 Jahren festgelegt.

Rösner, bei dem zusätzlich Sicherungsverwahrung angeordnet wurde, sitzt weiterhin im Gefängnis. Auch er strebt eine vorzeitige Entlassung an. Voraussetzung ist eine Therapie.

Zur Vorbereitung der Entscheidung für eine Freilassung Degowskis hatte das zuständige Gericht unter anderem das Gutachten eines renommierten Sachverständigen eingeholt, der eine positive Prognose erstellt hatte. Demnach ist der 61-Jährige „nachgereift, psychisch stabil“ und ohne Alkohol- und sonstige Suchtprobleme, hatte Peter Biesenbach, Der Justizminister des Bundeslandes Nordrhein-Westfalen im November erklärt. Degowski habe alle Lockerungen der Justizvollzugsanstalt Werl beanstandungsfrei absolviert - insgesamt 38 unbegleitete sowie zwölf Langzeitausgänge. Auch die Staatsanwaltschaft hatte keinerlei Einwände erhoben.

Täter bekommt neuen Namen

Degowskis Anwältin Lisa Grüter hatte bereits im vergangenen Oktober mit Blick auf die nahende Entlassung ihres Mandanten mitgeteilt, dass er künftig nicht mehr Degowski heißen werde. Mit einem neuen Namen wolle er „dieses Stigma“ loswerden, dass „er sich mit Degowski vorstellen muss, dem Namen, der so viele Erinnerungen weckt“, erläuterte Grüter. Zudem sei er dankbar dafür, „dass er von der Gesellschaft noch eine Chance bekommt“. (TT.com/APA/dpa)

Das Gladbecker Geiseldrama

Im August 1988 hält das Geiseldrama von Gladbeck Deutschland drei Tage lang in Atem. Die Bilanz: drei Tote und zahlreiche Verletzte. Es hagelt Kritik an Politik, Polizei und Medien.

In der Früh des 16. August 1988 stürmen Dieter Degowski und Hans-Jürgen Rösner schwer bewaffnet eine Bank im nordrhein-westfälischen Gladbeck. Sie nehmen zwei Geiseln und fordern einen Fluchtwagen sowie 420.000 Deutsche Mark. Journalisten geben sie ein erstes Interview. Kurz nachdem die Gangster am Abend mit Geiseln und Geld losfahren, steigt Rösners Freundin zu. Am nächsten Tag kapern sie in Bremen einen Linienbus und nehmen 35 Geiseln. Sie geben Interviews und lassen mehrere Geiseln frei.

Als die Polizei Rösners Freundin vorübergehend festhält, erschießt Degowski eine Geisel, einen 15-jährigen Burschen. Bei der weiteren Verfolgung verunglückt ein Polizist tödlich. Die Geiselnehmer lassen den Bus stehen und flüchten mit zwei Bremer Geiseln in einem Auto. Ein Journalist fährt in Köln sogar ein Stück mit. Am Mittag des 18. August greift ein Spezialeinsatzkommando auf der Autobahn bei Bad Honnef zu. Eine 18-Jährige stirbt an einer Kugel aus Rösners Waffe.

Rösner und Degowski werden im März 1991 zu lebenslanger Haft verurteilt, Rösner mit anschließender Sicherungsverwahrung. Die Polizei überarbeitet ihre Einsatztaktik für solche Szenarien grundlegend. Bremens Innensenator Bernd Meyer (SPD) tritt zurück. Die Medien werden wegen mangelnder Zurückhaltung kritisiert. Der Deutsche Presserat legt später fest, dass es Interviews mit Tätern während des Geschehens nicht geben darf.