Einhorn und Goldmarie: Verstaubte „Glasmenagerie“ im Akademietheater
Wien (APA) - Kleine Glasfiguren sind klassische Staubfänger. Wenn man sich nicht ständig um sie kümmert, verblasst ihr Glanz rasch. Dann wer...
Wien (APA) - Kleine Glasfiguren sind klassische Staubfänger. Wenn man sich nicht ständig um sie kümmert, verblasst ihr Glanz rasch. Dann werden sie unansehnlich und stehen bloß im Weg. Dieses Schicksal hat auch „Die Glasmenagerie“ von Tennessee Williams erlitten. Bei der gestrigen Abstaubaktion im Akademietheater ging Regisseur David Bösch zu zaghaft vor, um mehr als eine Ahnung einstigen Zaubers zu erreichen.
Bühnenbildner Patrick Bannwart hat für das über 70 Jahre alte Stück eine Dachbodenwohnung gebaut, die an einen großen, grauen Sarg erinnert. Frischluft kommt in diese tote, stickige Atmosphäre nur, wenn die Dachluke geöffnet wird. Dann regnet es aber hinein. Hier wohnen drei Gespenster: Mutter Amanda Wingfield, die ganz in ihrer Erinnerung an eine glanzvolle Jugend lebt, in der sie mindest 17 Verehrer gleichzeitig an der Angel hatte, ehe sie an einen Mann geriet, der sich später als Säufer herausstellte und seine Familie bald umstandslos verließ; Tochter Amanda, deren kleine körperliche Beeinträchtigung zunehmend zu einem riesigen psychischen Problem wurde, und die ihre ganzen Gefühle ihrer Sammlung von Glastierchen widmet; Sohn Tom, der mit einem Lagerarbeiter-Job die Familie ernähren muss, am Klo Verse dichtet, lieber heute als morgen abhauen würde und es doch immer nur ins Kino schafft.
David Bösch etabliert die Tristesse dieser ungesunden Traumwelten mit einer Hingabe, die die erste Hälfte der zweieinviertelstündigen pausenlosen Vorstellung zu einem harten Kampf gegen den Theaterschlaf werden lässt. Dabei wird exzellent gespielt, keine Frage: Sarah Viktoria Frick schließt nahtlos an ihre früheren ganz speziellen Frauenfiguren an, stillen, etwas verqueren Personen mit innerem Leuchten und viel gehemmter Energie, die nur in Ausnahmesituationen zum Fließen gebracht werden kann. Dass sie einen Augenblick lang Goldmarie sein darf, ist einer der schönsten Momente der Aufführung. Regina Fritsch ist eine leidende, liebende Mutter und wechselt souverän zwischen Selbstmitleid und Fürsorge, Gereiztheit und Befehlston. Merlin Sandmeyer ist als Bruder und Sohn ein schlaksiger, expressionistischer Schmerzensmann und der Einzige, der sich am eigenen Schopf aus diesem Sumpf ziehen könnte.
Für alle Beteiligten ist es eine große Erleichterung, als endlich Toms Arbeitskollege auftaucht, von der Mutter taxfrei zum Verehrer und möglichen Bräutigam der Tochter stilisiert, zum Retter aus gemeinsamer Seelennot. Martin Vischer macht das ausgezeichnet, sein Jim braucht ein wenig, um sich zu orientieren und mit der unerwarteten Situation umzugehen, doch bringt er den dringend notwendigen frischen Schwung. Die Annäherung der beiden ehemaligen College-Bekannten, bei denen Träume und Hoffnungen von einst auf die bittere Realität von heute treffen, wirbelt endlich und buchstäblich Staub auf - und lässt das Prunkstück der Glasmenagerie, das gläserne Einhorn, zu Bruch gehen. Symbolismus, knüppeldick.
Am Ende hauen die Männer ab, der eine heim zu seiner Braut, der andere raus ins richtige Leben. Die beiden Frauen bleiben zu Hause zurück und arrangieren sich aufs Neue mit ihrem Schicksal. Der Staub kann sich wieder in aller Ruhe zu legen beginnen.
Der von einer Vielzahl von Schauspieler-Kollegen angeführte Premierenapplaus war lange, laut und herzlich. Eine Tennessee-Williams-Renaissance ist dennoch nicht zu befürchten.
(S E R V I C E - „Die Glasmenagerie“ von Tennessee Williams, Deutsch von Jörn van Dyck, Regie: David Bösch, Bühnenbild: Patrick Bannwart, Kostüme: Falko Herold, Musik: Bernhard Moshammer. Mit Sarah Viktoria Frick, Regina Fritsch, Merlin Sandmeyer, Martin Vischer. Akademietheater. Nächste Vorstellungen: 21., 23., 27.2., 1.3., Karten: 01 / 513 1 513, www.burgtheater.at)