Katharina Mückstein: „L‘Animale“ ist ein Bewusstwerdungsfilm

Berlin/Wien (APA) - Die gebürtige Wienerin Katharina Mückstein präsentiert am Abend bei der 68. Berlinale ihren zweiten Spielfilm „L‘Animale...

Berlin/Wien (APA) - Die gebürtige Wienerin Katharina Mückstein präsentiert am Abend bei der 68. Berlinale ihren zweiten Spielfilm „L‘Animale“. Im Vorfeld beantwortete die Regisseurin (Jahrgang 1982) der APA Fragen über den Druck beim Zweitling, „L‘Animale“ als Bewusstwerdungsfilm und über den Umstand, dass in einem österreichischen Spielfilm stets eine Discoszene vorkommen muss.

APA: Sie haben mit „Talea“, ihrem Langfilmdebüt, einen beeindruckenden Erfolg eingefahren. War der Druck für Sie bei Ihrem Zweitling, der ja oftmals für die Karriere beinahe wichtiger als der Erstling ist, größer?

Katharina Mückstein: Ich war bei „L‘Animale“ wie auch bei „Talea“ selbst als Produzentin involviert. Die Möglichkeit, von Anfang an die Produktionsbedingungen mitzugestalten und die Zusammenarbeit in einem so starken Team, hat mich den Dreharbeiten recht entspannt entgegenblicken lassen. Einen Spielfilm macht man ja nicht alleine. Nach „Talea“ hatte ich riesige Lust, endlich einen Spielfilm mit angemessenem Budget zu drehen, und die Produktion von „L‘Animale“ war für mich in erster Linie lustvoll. Sicher ist ein gewisser Druck dabei, wenn man plötzlich viel mehr Geld und viel mehr Verantwortung hat, aber schließlich ist das der Job der Regisseurin und gehört einfach dazu.

APA: Erneut zeichnen Sie in Personalunion für Drehbuch und Regie verantwortlich. Worin liegt für Sie hier der Vorteil respektive wäre die Verfilmung des Drehbuchs eines anderen denkbar?

Mückstein: Ich schreibe seit meiner Jugend, und die Drehbücher für meine Filme selbst zu schreiben ist für mich daher sehr natürlich. Die Freiheit, Thema, Figurenkonstellation und künstlerische Umsetzung komplett selbst zu gestalten ist ein großes Geschenk. Zugleich ist die Drehbucharbeit sehr zeitintensiv. Am Buch von „L‘Animale“ habe ich zwei Jahre gearbeitet. Ich kann mir sehr gut vorstellen, die Bücher anderer zu verfilmen und auch Literaturverfilmung interessiert mich sehr. Das eigene Schreiben möchte ich jedoch nicht aufgeben.

APA: Sie arbeiten abermals mit Sophie Stockinger als zentrale Protagonistin zusammen. Was macht für Sie die Qualität dieser Nachwuchsschauspielerin aus?

Mückstein: Bereits bei meinem ersten Film „Talea“ - Sophie Stockinger war damals 14 und drehte mit mir ihren ersten Film - staunte ich über Sophies Ernsthaftigkeit. Sie arbeitete damals wie heute extrem konzentriert, arbeitswillig und intelligent. Obwohl sie bis dato keine klassische Schauspielausbildung genossen hat, brachte sie bereits als 14-Jährige viel Technik mit und war immer bereit, etwas zu wiederholen und es besser zu machen. Daher wollte ich mit ihr noch einmal arbeiten, bevor sie erwachsen wird und arbeitete von nun an gegen die Zeit. Ich schrieb mit Absicht eine Rolle, die weit weg ist von Sophie Stockinger als Privatperson, denn ich wollte uns beide herausfordern mit einer echten Verwandlungsrolle.

APA: Das Coming-of-Age-Sujet ist seit einigen Jahren ein äußerst beliebtes Genre geworden. Können Sie erklären, was den Reiz für die Filmemacherin/den Filmemacher darstellt?

Mückstein: Ich fühle mich selbst ehrlich gesagt vom Coming-of-Age-Genre selbst gar nicht so angezogen. In meinem Fall hat es sich so ergeben, dass ich wieder mit Sophie Stockinger arbeiten wollte, was das Alter der Protagonistin für „L‘Animale“ vorgab. In „L‘Animale“ haben wir die Geschichte der Eltern sehr präsent, die ebenfalls eine Identitätskrise durchmachen, eine Art zweite Pubertät, und sich der Angst stellen müssen, das gut eingerichtete Leben, die Ehe, das Haus, die Familie aufs Spiel zu setzen, wenn sie sich der Wahrheit stellen. Ich glaube, Identitätskrisen begleiten uns durch das ganze Leben, wenn wir es zulassen, das Gewohnte infrage zu stellen. Daher sehe ich „L‘Animale“ nicht als klassischen Coming-of-Age-Film, sondern würde ihn gerne als Coming-of-Awareness-Film bezeichnen. Also einen Bewusstwerdungsfilm.

APA: Der Einsatz von Musik in „L‘Animale“ fällt wieder sehr speziell aus: entweder kommt sie beinahe in Form eines Clips daher oder überhaupt nicht. Wie ist Ihr Verhältnis zur Musik im Film?

Mückstein: Ich liebe Film, und ich liebe Musik. Der Einsatz von Musik ist mir daher ein besonderes Anliegen beim Filmemachen. Jedoch will ich Musik nicht zum Untermalen und Manipulieren verwenden. Ich setze sie sehr klar und deutlich ein als eine Ebene, die ein Lebensgefühl widerspiegelt oder einen poetischen Moment im Film eröffnet. Wir sind heutzutage mit solchen Fluten von Bewegtbildern konfrontiert, wir werden so viel berieselt und unsere Gefühle ständig manipuliert. Daher ist es mir ein Anliegen, Kino zu machen, das sein Publikum ernst nimmt. Ich will die ZuseherInnen nicht einlullen und abtauchen lassen, daher suche ich immer den Weg der Geradlinigkeit und Klarheit.

APA: Gilt der alte Aphorismus von „Jeder österreichische Film braucht eine Discoszene“ noch?

Mückstein: Absolut! Die katholische Düsternis hat uns ÖsterreicherInnen ja nicht gerade zu MeisterInnen gemacht, wenn es darum geht, sich mal gehen zu lassen, Gefühle zu zeigen, das Leben und die Emotionen zu feiern. Daher brauchen wir einen dunklen Raum mit Stroboskop-Licht, um unserem Inneren Ausdruck zu verleihen. Ich liebe es, wenn im Film getanzt wird, besonders, wenn man die Choreografie nicht sieht und der Körper dem Bild Rhythmus verleiht. Man kann in einer Minute gut choreografiertem Tanz mehr ausdrücken als in zehn Minuten Dialog.

APA: Sie selbst sind seit langem Vorstandsmitglied des Film-Frauen-Netzwerks FC Gloria. Haben Sie die Zuversicht, dass die Empörung über die Missstände im Zuge der MeToo- und Times-up-Debatte einen dauerhaften Paradigmenwechsel herbeiführt?

Mückstein: Ich gebe zurzeit sehr viele Interviews, und es kommt beinahe immer die Frage nach #MeToo. Ich frage mich, ob die JournalistInnen meinen männlichen Regiekollegen auch diese Frage stellen. Wahrscheinlich viel, viel seltener. Ich finde, wir sind an einem Punkt in der Entwicklung unserer Zivilisation angelangt, wo wir die Frage, wie es weitergehen soll in Sachen Geschlechtergerechtigkeit, allen stellen sollten. Machtmissbrauch, Unterdrückung und Gewalt sind keine Frauenthemen, sondern kulturgeschichtlich gesehen Teil unserer Tradition und wir sind alle zu gleichen Teilen dafür verantwortlich, mit dieser Geschichte zu brechen. Sehr gerne machen wir zu einem anderen Zeitpunkt ein Interview zum Thema Sexismus in der Filmbranche, ich habe dazu viel zu sagen, aber nicht in Zusammenhang mit meinem neuen Film.

(Die Fragen stellte Martin Fichter-Wöß/APA)