Fußball-WM-Geschichte 10 - 1974/Der Kaiser übernimmt das Kommando

München (APA) - Am 7. Juli 1974 schoss Gerd Müller, der „Bomber der Nation“, Deutschland in München gegen die Niederlande zum zweiten WM-Tit...

München (APA) - Am 7. Juli 1974 schoss Gerd Müller, der „Bomber der Nation“, Deutschland in München gegen die Niederlande zum zweiten WM-Titel. Doch der Weg war steinig, es gab interne Querelen und eine veritable Blamage. Es bedurfte schon des Wirkens von „Kaiser Franz“ Beckenbauer, der Bundestrainer Helmut Schön entmachtete und fortan selbst Taktik und Aufstellung diktierte, um den DFB-Adler auf Kurs zu bringen.

1974 war die Fußball-WM erstmals in Deutschland zu Gast. Und erstmals wurde ein FIFA-Turnier live und komplett im Farbfernsehen übertragen - alle 38 Spiele, die sich auf die Schauplätze Berlin, Hamburg, Frankfurt, Hannover, Dortmund, Gelsenkirchen, Düsseldorf, Stuttgart und München verteilten.

Probleme bereitete fast überall das Wetter. Jedes zweite Spiel der zehnten Weltmeisterschaft war verregnet - doch just am Tag des Finales lachte die Sonne. Es sind patriotisch wertvolle Bilder, die bis heute in regelmäßigem Abstand über die bundesdeutschen TV-Kästen flimmern: Die Nummer 13 nimmt den Ball vor dem Fünfer an, der springt eigentlich viel zu weit weg, Müller hüpft blitzschnell hinterher und drückt ab. Sein flacher, nicht sonderlich harter oder präziser Schuss kriecht zum entscheidenden 2:1 ins Netz.

Die Niederländer, dirigiert von FC-Barcelona-Zampano Johan Cruyff, wären für den gemeinen Fan wohl der attraktivere Weltmeister gewesen. Sie zeigten den technisch raffinierteren, schwerer auszurechnenden, schlicht moderneren Fußball, waren aber durch ein internes Leistungsgefälle beschränkt. Gleichzeitig fehlte den Oranjes jene Selbstverständlichkeit und teutonische Entschlossenheit, mit der sich Müller und Co. nach anfänglichen Kalamitäten durch die zweite Turnierphase wuchteten.

Schon zehn Tage vor dem ersten Gruppenspiel war die Situation eskaliert. Im spartanischen DFB-Quartier in Malente feilschten die Spieler um Kapitän Beckenbauer mit den DFB-Oberen um die WM-Prämien. Nach dem müden 2:0-Auftaktsieg gegen Neuling Australien hallten Pfiffe von den Rängen. Dann kam der 20. Juni: Der Magdeburger Jürgen Sparwasser schoss die Bundesrepublik k.o. und die DDR mit dem 1:0 zum Gruppensieg.

In der Nacht nach der Pleite flogen in Malente erst recht die Fetzen. Beckenbauer knöpfte sich Bundestrainer Helmut Schön und seine Kollegen vor und krempelte das Team nach seinen Vorstellungen um. Der Angriffsfußball, der Schön vorgeschwebt war, musste einem deutlich pragmatischeren Konzept weichen, Regisseur Günther Netzer wurde abmontiert. Die Folge: Gegen Jugoslawien, Schweden, Polen und die Niederlande legte die Truppe bessere Organisation, taktische Effizienz, Kampfgeist und totale Einsatzbereitschaft an den Tag. „In dieser Nacht wurde aus einem zerstrittenen Haufen eine Einheit“, sagte Beckenbauer später.

Unplausibel hatte der deutsche Durchmarsch vor dem Turnierstart ja nicht geklungen. Das DFB-Team war amtierender Europameister, Bayern München damals die wahrscheinlich beste Vereinsmannschaft Europas, hatte soeben drei Meisterschaften und den Europacup der Meister gewonnen. Folgerichtig stellten die Roten mit Beckenbauer, Müller, Sepp Maier, Paul Breitner, Uli Hoeneß und Georg Schwarzenbeck das Gerippe der Nationalmannschaft.

Zudem war die Konkurrenz durch glückliche Umstände überschaubar. Titelverteidiger Brasilien war die spielerische Leichtigkeit abhandengekommen, man kämpfte sich eher ins kleine Finale, wo man aber den sensationellen Polen um den mit sieben Treffern zum Torschützenkönig avancierenden Grzegorz Lato unterlag. Die Italiener taten sich noch schwerer und schieden in der Vorrunde gegen Argentinien und Polen aus. England war bereits in der Qualifikation an dem Überraschungsteam gescheitert.

Auch Österreich hatte es 1974 nicht zur WM-Endrunde geschafft. Die Mannschaft von Leopold Stastny beendete die Qualifikationsrunde punktegleich und mit derselben Tordifferenz wie Schweden, also musste ein Entscheidungsspiel her, das in Gelsenkirchen stattfand. Um genügend Zeit zur Vorbereitung zu haben, wurde damals sogar eine Meisterschaftsrunde ausgesetzt. Auf schneebedecktem Boden verlor das ÖFB-Team allerdings trotz zahlreicher Chancen mit 1:2.

~ Ergebnisse der 2. Finalrunde: Niederlande - Argentinien 4:0, Niederlande - DDR 2:0, Niederlande - Brasilien 2:0; BRD - Jugoslawien 2:0, BRD - Schweden 4:2, BRD - Polen 1:0 Spiel um Platz drei: Brasilien - Polen 0:1 Finale: Niederlande - BRD 1:2 ~