donaufestival: Liquid Loft bieten „absurdes Sammelsurium“ an Klängen
Krems (APA) - Körper, Sprache, Kirche: Das sind Eckpunkte der „Church of Ignorance“, die Choreograf Chris Haring mit seiner Gruppe Liquid Lo...
Krems (APA) - Körper, Sprache, Kirche: Das sind Eckpunkte der „Church of Ignorance“, die Choreograf Chris Haring mit seiner Gruppe Liquid Loft am Wochenende beim donaufestival in Krems uraufführen wird. Dass die Begrifflichkeiten zum Teil auch neu verhandelt und ausgelegt werden, darf man erwarten. Mit der APA sprach Haring vor der Premiere über verbale und non-verbale Kommunikation, Ignoranz und Identität.
APA: Die „Church of Ignorance“ findet in der Dominikanerkirche statt. Welche Rolle spielt der Aufführungsort?
Chris Haring: Wir haben es speziell für die Location entwickelt, auch der Name ergibt sich daraus. Wir haben versucht herauszuarbeiten, was die Kirche im Mittelalter ursprünglich gewesen ist bzw. sein hätte können: zum Teil wurde sie als Markthalle genutzt, es war aber auch ein Schutzort. Seit es Liquid Loft gibt, versuchen wir eigentlich immer, die Aufführungsorte miteinzubeziehen, also architektonisch, lichttechnisch, klangmäßig auf den Ort einzugehen.
APA: Angekündigt wird das Stück als „babylonisches Sprachengewirr“. Was kann man sich darunter vorstellen?
Haring: Die Performance ist Teil der Serie „Foreign Tongues“, in der die Ausgangsbasis und Inspirationsquelle Fremdsprachen sind, vor allem Slangs, Dialekte, Minderheitssprachen oder Regionalsprachen. Dadurch, dass Körpersprache eigentlich untrennbar verbunden ist mit einer gesprochenen Sprache, versuchen wir uns diese anzueignen, also die Sprachen, die wir nicht kennen. Wir haben mittlerweile Aufnahmen von rund 30 Sprachen, jeweils von mehreren Sprechern. Wir arbeiten die Sprachen inhaltlich aber nicht etymologisch auf, sondern versuchen sie musikalisch zu verstehen und umzusetzen. Es geht auch darum, dass Körpersprache oft mehr vermittelt, als es die gesprochene Sprache tun kann.
APA: Es treffen also die Performer auf die Sprache, die aus den Boxen kommt. Welche Dynamik entsteht dadurch?
Haring: Das ist das Spiel, das wir eigentlich seit langem spielen, dass man es separiert. Slangs und Dialekte kann man vom Körper eigentlich fast nicht trennen. Die musikalischen Parameter wie etwa Rhythmik gehen einfach mit dem Hand in Hand, was Sprache ausmacht. Was dabei rauskommt, ist eine Art von Künstlichkeit, die einerseits sehr persönlich ist, weil man versucht, sich etwas anzueignen. Andererseits versucht man, etwas Neues zu machen. Das Projekt hat ja prinzipiell mit Kommunikation zu tun, auch jener mit dir selbst oder etwas Höherem. Das ergibt dann ein absurdes Sammelsurium an unterschiedlichsten Klängen, die in Europa derzeit gesprochen werden.
APA: Wie spielt dann die Ignoranz in dieses Konzept rein?
Haring: Wenn es um Kommunikation geht, geht es auch um Non-Kommunikation. Ignoranz bedeutet auch Nichtwissen oder Nichtwissen-Wollen, etwas ignorieren oder negieren. Ein Grund war für uns, wie wir heutzutage in diesem Europa diese Klänge und Kommunikation versuchen aufzunehmen - mit den dramatischen Wanderungs- und Migrationsströmen. Da ist das Wort Ignoranz natürlich provokant, steht aber auch im Zusammenhang mit einem Ort wie Kirche, der ursprünglich schützen sollte. Es ist keine Bestandsaufnahme, sondern mehr eine Art Statement.
APA: Kommunikation im digitalen Raum wird oft und viel diskutiert. Ist „Church of Ignorance“ auch ein Kommentar in Richtung Soziale Netzwerke und wie dort miteinander umgegangen wird?
Haring: Es gibt ein Für und Wider bezüglich des Ignorierens von Neuen Medien. Sprachen müssen ja nicht immer nur Verbindung sein, sie können auch Abgrenzung bedeuten, etwa wenn es um Geheimsprachen geht. Da will man von anderen nicht verstanden werden.
APA: Sprache hängt auch mit Identität zusammen. Wie wirkt sich dieser Aspekt auf die Performance aus?
Haring: Identitätsfragen sind im zeitgenössischen Tanz oder Performancebereich ein durchgängiges Thema. Ab dem Moment, wo du auf die Bühne gehst und behauptest, mit deinem Körper etwas darzustellen, bist du eine öffentliche Person. Fängst du an gesehen zu werden, hinterlässt du enorme Abdrücke - wie man sich anzieht, Gender, Mimik, Gestik, solche Dinge. Es sind viele Informationen, die mitgetragen werden, bevor es zum eigentlichen Thema oder zum Tanz überhaupt erst kommt. Wenn man mit Sprachen arbeitet oder etwas, das aus dem Innersten kommt, das Teil der Identität ist, und versucht, das zu verfremden, dann ergibt sich daraus eine Art Zwischenraum, der sehr abstrakt ist bzw. wieder eine eigene Persönlichkeit schafft.
APA: Abschließend noch ein anderes Thema: Wiens Kulturstadtrat Andreas Mailath-Pokorny (SPÖ) hat seinen Rückzug angekündigt. Was erwarten Sie von der künftigen Leitung des Kulturressorts?
Haring: Vor gut einem Jahr haben sich Künstlerinnen und Künstler vor allem aus der Tanz- und Performanceszene zu einer Plattform, der Wiener Perspektive, zusammengeschlossen. Es ging um eine Art Bestandsaufnahme und vor kurzem kam es endlich zu Gesprächen mit dem Kulturstadtrat. Da kommst du schnell drauf, dass es an vielem fehlt. Wir mussten sagen: Leute, der Hut brennt! Und dass trotz fruchtbarem Boden, florierender Tanz- und Performanceszene mit hoher nationaler und noch höherer internationaler Anerkennung. Ich kann nur hoffen, dass die neue Stadtregierung das zu schätzen weiß. Man wird im Austausch wieder von vorn anfangen müssen. Ich hoffe aber, dass die Gespräche positiv weitergeführt werden.
APA: Was sind aus Ihrer Sicht die dringendsten Anliegen?
Haring: Die Wiener Perspektive wurde gegründet, um Probleme wie soziale Absicherung, Ausbildung oder fehlende Räumlichkeiten aufzuzeigen. Es gibt in der Szene ein Riesenpotenzial, das versandet, wenn man nicht jetzt die Kontinuität sichert. Namhafte Künstler sind gezwungen aufzuhören, nicht, weil sie nicht erfolgreich wären oder keine Lust mehr hätten, sondern weil es für sie existenziell wird. Dazu braucht es nicht nur finanzielle Unterstützung, sondern auch eine moralische: Respekt und Anerkennung.
(Das Gespräch führte Christoph Griessner/APA)
(S E R V I C E - Liquid Loft/Chris Haring: „Church of Ignorance“, Uraufführung im Rahmen des donaufestivals am 28. April um 15 Uhr, Dominikanerkirche, Körnermarkt 14, 3500 Krems; Infos und Tickets unter www.donaufestival.at; www.liquidloft.at)